Erst das Vergnügen, dann die Arbeit

Grüezi – Guten Tag!

Ja, Sie haben richtig gelesen. Und nein, ich werde jetzt nicht ein Loblied auf eine „Spaßgesellschaft“ singen. Ich will auch nicht dazu anregen, die Kluft, die viele Menschen zwischen „Arbeit“ und „Vergnügen“ machen, noch zu vergrößern. Mir geht es bei „erst das Vergnügen, dann die Arbeit“ um etwas anderes. Worum? Das erfahren Sie in diesem Newsletter.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Warum zu viel „erst die Arbeit“ selten zum Vergnügen führt…

Bei vielen Menschen stapelt sich im Kopf eine Liste von „müssen“: „Ich muss die Wäsche machen“, „Ich muss endlich aufräumen“, „Ich muss Gas geben, der Chef wartet auf den Bericht“, „Ich muss die Kinder von der Krippe holen“, „Ich muss Karriere machen“, auch „Ich muss joggen gehen“. Alles kann zum „müssen“ werden, selbst das Vergnügen. Auf die Dauer fördert dies ungesunden Stress, Unzufriedenheit, auch Krankheit.

An dem in unserer Kultur gut verankerten Satz „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ ist nichts falsch – solange er in einer gesunden Balance beherzigt wird. Doch er scheint sich in vielen Menschen verselbständigt zu haben zu einer Art konstanten inneren Peitsche. Sie lassen ihr Denken und Verhalten davon leiten.

„Müssen“ im Übermaß führt selten zur erhofften Befriedigung oder zum „verdienten“ „Vergnügen“, sondern meist zum Gegenteil: Ist das eine „müssen“ geschafft, wartet schon das nächste. Irgendwann wird man müde. Lebensqualität und -freude bleiben auf der Strecke. Statt diesen Satz unter die Lupe zu nehmen, machen die meisten weiter so. Irgendwann scheint es, als wäre das Leben so: Müssen und Schuften und Leiden.

Seit den 1970er Jahren gibt es auch eine Gegenbewegung: Jetzt „muss“ alles Spaß machen. Man „muss“ sich selbst verwirklichen, die eigenen Bedürfnisse voranstellen, wenn’s anstrengend wird, wirft man den Bettel hin. Pflichtbewusstsein und Ausdauer sind nicht mehr sexy. Im Kern oft nichts anderes als ein Egotrip, Reaktion auf eingeimpftes „müssen“.

Zwei Extreme. Zwei Holzwege.

Zuerst ein nüchterner Blick, was im Gehirn geschieht, wenn wir uns aufs „müssen“ konditionieren – egal worauf sich dieses bezieht. Wie es Julius Kuhl in seiner Persönlichkeits-/Motivationstheorie schön beschreibt, haben wir im Gehirn einen Bereich, in dem unsere Absichten „gespeichert“ werden. Kuhl nennt dies das „Intentionsgedächtnis“. Das ist praktisch. Wir können nicht immer umgehend umsetzen, was wir uns vornehmen. Doch grundsätzlich dämpfen Absichten die Stimmung – schließlich lösen Gedanken daran, endlich die Wohnung aufzuräumen, die Steuererklärung auszufüllen, Wege zu finden, um den schwelenden Konflikt mit der Partnerin anzugehen, bis nächsten Freitag diese Offerte zu erstellen, nicht unmittelbar innere Freudensprünge aus. Doch um etwas nicht nur mit reinem Willensaufwand – „Ich reiße mich jetzt zusammen und mach’s“ – umzusetzen, sind positive Gefühle wichtig. Sie ermöglichen, auf Ideen zu kommen und mit mehr Leichtigkeit produktiver zu sein. Was sich positiv auf Resultate und Wohlbefinden auswirkt. Wer sich zu viel „müssen“ im Kopf aufstapelt, blockiert den Zugang zu positiven Gefühlen, zu Intuition, Kreativität, zu jenen Bereichen des Gehirns, die „zuständig“ sind für das Finden von Lösungen und Leichtigkeit beim Handeln ermöglichen. Wenn zu viel „müssen“ im Kopf aufgestapelt wird, gibt es quasi einen „Stau“ im „Intentionsgedächtnis“. Je nach Persönlichkeit drücken die einen dann mit Gewalt Angestrebtes durch. Oder sie schieben alles vor sich hin – meist begleitet von schlechtem Gewissen, was noch mehr für schlechte Stimmung sorgt. Wieder andere geben sich selbst auf die Hörnchen: „Ach, ich schaff auch nichts!“ So entstehen beeinträchtigende Denk- und Verhaltensmuster, die auf Dauer in Negativspiralen führen. Womit genau das Gegenteil erreicht wird von dem, was man will: Zügig vorankommen, Dinge erledigen, Erfolgserlebnisse erzielen, zufrieden sein können – und dann auch wieder aufatmen, entspannen, nichts „müssen“.

 

…und wie sich dies ändern lässt

Wer erkennt, im „müssen“ gefangen zu sein, kann anfangen, anders vorzugehen. Schließlich gilt auch hier: Was man lernen kann, kann man verlernen. Bzw. neu, anders angehen. Falls Sie „anfällig“ sind auf innere und äußere „To-do“-Listen, nur schon die Erinnerung daran Druck auslöst und Sie spüren, dass Sie quasi Gefangener Ihrer Absichten werden, dann wollen Sie sich vielleicht in der kommenden Zeit einmal am Motto „Erst das Vergnügen, dann die Arbeit“ orientieren. Schon einfache, kleine Schritte im Alltag können bewirken, dass Sie sich vom inneren Schraubstock des „ich muss“ zu lösen beginnen – und damit andere Gefühle entwickeln und Ihren Alltag anders angehen. Weniger mit dem Gefühl, Opfer von Pflichten zu sein. Mehr mit dem Gefühl, selbst zu steuern. Und vor allem: Besser gelaunt, fröhlicher, leichter.

Ich möchte Ihnen dazu eine einzige Anregung geben:

  • Sich einen guten Tagesanfang machen. Viele Menschen erwachen schon mit innerem Gedankengeplärr, was alles gemacht werden muss. Sie stehen schon gestresst auf. Ich lade Sie ein, das anders zu machen: Nehmen Sie sich am Morgen als erstes bewusst Zeit für etwas, was Ihnen gut tut und Freude macht. Entwickeln Sie ein positives Morgenritual: Setzen Sie sich in Ihre Lieblingsecke und lesen Sie ein paar Seiten in einem inspirierenden Buch. Hören Sie Musik, die Sie beflügelt. Machen Sie ein paar wohltuende Gymnastik- oder Yogaübungen oder einen kurzen Morgenspaziergang. Oder eine Meditation, in der Sie ein inneres Bild entstehen lassen von einem gelungenen Tag. Probieren Sie es aus. Am Anfang wird es schwer fallen. Je länger die Liste von „müssen“ ist, desto eher werden Sie denken „Ich habe jetzt keine Zeit“. Nehmen Sie sich Zeit. Es braucht nicht viel zu sein, 10 bis 20 Minuten können schon etwas bewirken. Wenn Sie jetzt denken „So viel Zeit habe ich nicht“, „Aber die Kinder wollen Frühstück“ – stehen Sie etwas früher auf. Wenn nötig, können Sie sich selbst überzeugen: „Wenn ich beschwingt in den Tag gehe, werde ich einen besseren Tag haben und mehr Energie für alles, was ansteht. Und mein Umfeld hat einen zufriedenen, gut gelaunten statt einen Mitmenschen, der mit Gestress für Unruhe sorgt.“ Wenn Sie das eine Weile konsequent machen, werden Sie feststellen, dass Sie gelöster, mit mehr Schwung in den Tag gehen. Sie können den Prozess verstärken, indem Sie im Tagesablauf wiederholt das „Vergnügen“ vor die „Arbeit“ setzen. Kurze, aber bewusst gegönnte Momente. Etwa: Am Abend erst ein Fußbad nehmen und danach an die Kocharbeit. Erst eine viertel Stunde mit den Kindern spielen und dann an den zu erledigenden Papierkram.

Und wenn Sie „Lust auf mehr“ bzw. „Lust auf weniger ‚Ich muss‘“ bekommen, hier noch ein paar weitere Anregungen:

  • „Vom Ende her denken“ (Wayne Dyer). Stellen Sie sich vor, wie Sie Vorgenommenes erfolgreich angepackt und erfreuliche Resultate erzielt haben. Am besten schließen Sie dazu die Augen und lassen ein inneres Bild entstehen. Möglichst plastisch. In einem meiner Seminare, die ich für Parkinsonpatienten gebe, erzählte eine Teilnehmerin: Wenn sie Fenster putzen müsse – und das kann für Parkinsonpatienten eine ziemlich anstrengende Sache sein – stelle sie sich vor, wie schön es sein würde, durch die frisch geputzten Fenster schauen zu können. Die Vorstellung von den guten Gefühlen, die Erreichtes bewirken, ermöglicht ein Handeln jenseits von Druck. Sehen und fühlen Sie sozusagen im Voraus, wie es sein wird, wenn Sie ohne Druck angepackt haben, was es anzupacken gilt.
  • Die „ich muss…“-Litanei erkennen… Wenn Sie merken, dass innere „To do“-Listen Ihre Stimmung und Ihr Handeln beeinträchtigen: Nehmen Sie das so neutral wie möglich wahr. Indem Sie beobachten, was abläuft – ohne zu werten im Sinn von „Ach wieder der gleiche Mist“ oder sich zu identifizieren „Das muss doch jetzt wirklich, ich kann doch nicht einfach…“–, schaffen Sie bereits Distanz.
  • …und unterbrechen. Erfinden Sie für sich eine Strategie, die hilft, den Mechanismus zu stoppen. Alles, was hilft, ist gut. Ein mentales Stoppsignal. Das, was Sie gerade tun, unterbrechen und kurz etwas ganz anderes tun, etwa eine Tasse Tee kochen. Oder die Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken, etwa auf die Wolken, die draußen vorbeiziehen. Oder auf das Bild, das an der Wand hängt: Wie ist das eigentlich gemalt?
  • Perspektivenwechsel: Wer sagt eigentlich, dass Sie das alles machen müssen? Was wäre, wenn Sie das nicht machen würden? Wenn Sie eine außenstehende Person wären und sich selbst beobachten: Wie wirkt ein Mensch, der dauernd „muss“? Wollen Sie so sein? Was ermöglicht das? Was verhindert es? Wie wird Ihr Leben sich entwickeln, wenn Sie so weitermachen? Wann werden Sie sagen „So, jetzt ist gut!“? Solche Fragen helfen, die Identifikation mit gewohnten Denk- und Verhaltensmustern zu lösen – und in der Folge anders zu denken, zu handeln, damit neue Erfahrungen zu machen und in eine andere Stimmungslage zu kommen.
  • Regie übernehmen. Viele Menschen, die sich mit einem ausgeprägten „Ich muss…“-Muster plagen, sind vollkommen überzeugt, dass es nicht anders geht. „Dieses Projekt muss doch nächsten Freitag fertig sein!“, „Wo kämen wir hin?“, „Wenn ich es jetzt nicht mach, dann macht es niemand“. Sie sind zum Opfer ihrer eigenen Überzeugungen geworden. Nur schon, sich dessen bewusst(er) zu werden, ist hilfreich. Und die Basis, anders vorzugehen. Das fängt damit an, dass Sie etwa jeden Morgen – ja, nach Ihrem „Erst-das-Vergnügen“-Morgenritual 🙂 – kurz (!) notieren, was alles an „müssen“ durch Ihren Kopf geht. Aufschreiben heißt, es bleibt nicht diffus als Druck im Kopf. Und schauen Sie dann: Was von dem ist jetzt das Wichtigste? Wo fange ich an? Und was ist heute eine realistische Etappe, die ich gehen kann?
  • Ideen sammeln: Wie kann das, was gemacht werden muss, mit mehr Leichtigkeit getan werden? Natürlich gibt es immer Dinge, die gemacht werden müssen. Wenn Sie ein Studium abschließen wollen, gilt es, zu lernen. Wenn Sie Ihren Schreibtisch aufräumen wollen, müssen Sie sich an den Schreibtisch setzen und Beige um Beige aussortieren. Wenn Sie abnehmen wollen, kommen Sie nicht drum herum, Lebens- und Essgewohnheiten umzustellen. Statt sich mit einem „ich muss“ zur Arbeit zu zwingen, fragen Sie sich: Wie kann ich diese Arbeit noch mit anderen Augen angehen? Wie kann ich sie angehen, sodass ich selbst wirklich dahinterstehe? Wie kann ich sie in machbare Etappen einteilen? Wie kann ich sie interessant(er) gestalten? Wie kann ich „Vergnügen“ in das „müssen“ integrieren? Um aufs Fensterputzen zurückzukommen, etwa: Musik macht die Arbeit kurzweiliger. Oder die neugierige Frage: Wie kann ich die Technik verbessern? Das löst Druck und aktiviert Kreativität.
  • Das Wort „müssen“ aus dem Wortschatz streichen. Probieren Sie das mal einen Tag lang aus. Und schauen Sie, was passiert…

Indem Sie auf diese Weise – entschlossen und zugleich möglichst spielerisch – Erfahrungen sammeln mit „Erst das Vergnügen, dann die Arbeit“ werden Sie nicht nur feststellen, dass Sie in eine positivere, leichtere Grundstimmung kommen. Sie werden auch erfahren, dass das, was gemacht werden muss, mit mehr Leichtigkeit gemacht werden kann. Und dass „Vergnügen“ und „Arbeit“ sich miteinander „anzufreunden“ beginnen – und sogar auf den ersten Anschein nach langweilige oder mühsame Arbeiten nicht mehr den Stempel „ich muss“ haben.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Wer die Regie über das eigene Leben an übermäßiges „ich muss“ abgegeben hat, folgt einem beeinträchtigenden „Lebenskompass“. Mehr dazu in meinem Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“, Kapitel 1.2 Ihre Wahrnehmung wird beeinflusst durch Ihre Lebensorientierung.

 

 


Hier können Sie

Hier erfahren Sie mehr über