Hilfe, mein Chef führt nicht kompetent!

Grüezi – Guten Tag!

Viele Menschen arbeiten in schlecht geführten Organisationen. Nein, es geht hier nicht um Schuldzuweisungen. Es geht vielmehr um die Frage: Wie kann ich vorgehen, wenn ich unter Vorgesetzten arbeite, die produktive Arbeit mehr behindern als fördern? Mit diesem Newsletter möchte ich ermutigen, andere Wege zu finden als Frustration oder Resignation.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

„Hilfe, mein Chef führt nicht kompetent!“

Kürzlich gab ich ein Seminar für Mitarbeitende einer großen Organisation zur Thematik „Eigenregie am Arbeitsplatz“. Ich habe dieses Seminarangebot entwickelt, weil ich immer wieder und immer häufiger sehe und höre, dass Mitarbeitende unter den Folgen schlecht geführter Organisationen leiden. Es ist mir ein Anliegen, aufzuzeigen, wie man in solchen Situationen anders vorgehen kann als zu schimpfen, in eine Opferrolle zu flüchten, (innerlich) zu kündigen oder in einem Burnout zu landen.

In diesem Seminar zeigt sich schnell, dass ich es mit einer Gruppe motivierter, wacher Professionals zu tun habe, die ihre Arbeit gerne haben und kundenorientiert denken. Zugleich sind sie verärgert, teils erschöpft, fühlen sich ohnmächtig und ratlos. Sie haben schon viel mitgemacht. Doch für einen Teil der Seminarteilnehmenden das Schlimmste: Ihr Chef! Er macht Vorgaben, die für sie nicht nachvollziehbar sind. Er kommuniziert nicht, welche Veränderungen nun konkret anstehen und wie es mit ihrer Abteilung weitergeht. Stattdessen macht er Druck, kontrolliert sie bei der Arbeit. Eine dieser Personen sagt: „Wissen Sie, ich bin ein positiv eingestellter Mensch, ich komme am Morgen mit der Haltung an die Arbeit, das Beste aus der Situation zu machen, doch die Stimmung am Arbeitsplatz ist so schlecht, dass mir das stets weniger gelingt. Die Situation zehrt an den Kräften. Die Kunden spüren das. Und wenn ich dann mit einem Kunden ein paar Worte wechsle, steht der Chef hinter mir und gibt mir zu verstehen, dass ich das Gespräch beenden soll.“ Eine andere Person hakt ein: „Kürzlich wurden wir durch eine Teamentwicklung geschleust. Wir haben dort gehört, dass man offen kommunizieren und auch den Humor nicht vergessen sollte. Doch die Probleme wurden nicht auf den Tisch gelegt. Alles bleibt wie es ist. Das macht mich wütend. Und ohnmächtig.“

 

Kann man Einfluss nehmen, wenn schlecht geführt wird?

Ja. Auch wenn man keine Führungskompetenzen hat!

Einige Schritte, die dabei wichtig sind:

  • Entscheiden: Will ich hier aktiv werden oder will ich das (jetzt) nicht? Sie entscheiden selbst, ob die Situation am Arbeitsplatz für Sie alles in allem ok ist. Doch wenn negative Gefühle überhandnehmen, Motivation, Arbeitszufriedenheit, Arbeitsklima, Entspannung und vielleicht sogar Gesundheit auf der Strecke bleiben, ist es empfehlenswert, die nächsten Schritte zu machen
  • Genau hinschauen und nüchtern Fakten sammeln: Was spielt hier? Erkunden Sie: Wie kommt es, dass Sie sich über Ihren Chef oder Ihre Chefin ärgern? Was bewirkt, dass Ihre Freude an der Arbeit in Schieflage gerät? Seit wann ist das so? Was sind wichtige Schlüsselmomente, Aussagen, Verhaltensweisen, Fakten? Am besten notieren Sie sich einige Stichworte – oft stellen sich dabei Erkenntnisse und Ideen ein. Achtung: Nicht werten – „So ein Chef ist einfach das Hinterletzte“ –, sondern nüchtern Daten sammeln, etwa „Unser Chef konfrontiert uns mit Top-Down-Entscheidungen und lässt uns mit den damit verbundenen realen Problemen bei der Umsetzung allein.“
  • Sache und Person trennen. Oft ist es der „ton qui fait la musique“. Viele Mitarbeitende regen sich auf, weil Vorgesetzte nicht gut kommunizieren bzw. mit ihrem Verhalten vor den Kopf stoßen. Das heißt noch nicht, dass der Inhalt, um den es geht – z.B. die Einführung neuer Arbeitsabläufe – Blödsinn ist. Erkunden Sie: Sind es reale, sachliche Probleme, über die Sie sich ärgern? Oder ist es in erster Linie die „Chemie“ – haben Sie Mühe mit Person und Führungsstil Ihres Vorgesetzten? Was genau macht Ihnen Mühe? Wie würden Sie das einer anderen Person in ein, zwei Sätzen beschreiben?
  • Eigene Haltung unter die Lupe nehmen. Nein, ich sage Ihnen jetzt nicht „Sie müssen nur positiv denken, und dann kommt es schon gut“. Ich vermittle Ihnen auch nicht, dass Sie selber schuld sind und ja gehen können, wenn es Ihnen nicht passt. Doch: Die eigene Haltung bestimmt wesentlich, was Sie tun und was Sie bewirken. Im oben erwähnten Seminar äußerte sich eine Person ärgerlich: „Mit diesem Chef ist nichts mehr möglich. Wir haben alles probiert.“ Ich fragte, was sie denn gemacht haben. Ihre Antwort: „Also, ich habe eben noch in der letzten Teamsitzung klar und deutlich gesagt, dass es bei uns schlecht geht.“ Kein Wunder, dass sich so keine Verbesserungen einstellen. Viele Chefs sind offen für sachlich begründete Verbesserungsvorschläge; ärgerliche Pauschalaussagen sind vielleicht verständlich, bewirken aber meist nur Abwehr. Erkunden Sie: Sind Sie offen für Verbesserung – oder haben Sie abgehakt? Wollen Sie sich für Lösungen einsetzen? Haben Sie den Mut, dabei auch eigenständig aufzutreten? Oft entwickeln sich in schlecht geführten Organisationen negative Gruppennormen; wer hier konstruktive Wege sucht statt mitzujammern, wird vom Team gern einmal als „Streber“ gesehen. Zudem spielt oft Angst vor Risiken mit; eine Seminarteilnehmerin fragte einmal: „Wissen Sie, bei uns ist vieles hierarchisch: Wie kann ich konstruktiv Inputs einbringen – ohne dass das als Kritik aufgefasst wird?“ Eine andere erzählte, dass sie Verbesserungsvorschläge eingebracht hatte, worauf ihr das im Mitarbeitergespräch als Negativpunkt angelastet wurde. Wenn Sie sich für Verbesserungen einsetzen, ist es wichtig, eine offene, loyale und lösungsorientierte Haltung einzunehmen. Damit zeigen Sie Leadership und bewirken viel mehr als mit Angriff. Weiter ist es wichtig, dass Sie für sich die Risiken abwägen und zu einer Entscheidung finden, hinter der Sie stehen. An sich ist jeder Mensch, der den Mut aufbringt, eigenständig zu denken und zu handeln und damit auch einmal unangenehme Dinge auf den Tisch zu legen, ein Gewinn. Doch entscheiden Sie sich nur dafür, wenn Sie bereit sind, die Konsequenzen zu tragen. Viele haben in solchen Situationen (nicht immer zu Unrecht) Angst, im schlimmsten Fall die Stelle zu verlieren. Das ist ein Abwägen, dass nur Sie machen können: Will ich mich hier durchleiden bzw. Wege finden, wie ich die Situation akzeptiere wie sie ist? Oder will ich – im Dienst der Sache, aber auch für mich und meine Entwicklung – den Mut aufbringen, reale Probleme sachlich zu benennen? Wenn Sie wirklich im Dienst der Sache vorgehen – also: Keine persönlichen Angriffe! – können Sie eigentlich nur gewinnen: Sie können vor sich selbst geradestehen und erhalten eine Entscheidungsgrundlage für Ihr persönliches Weitergehen. Sie sind für andere Vorbild. Eine souveräne, offene, positive Haltung wird wahrgenommen – wenn sie echt ist, wirkt sie ansteckend.
  • Perspektivenwechsel: Oft entstehen unheilsame Spiralen: Der Vorgesetzte macht etwas objektiv und/oder subjektiv nicht gut, man wird wütend oder ohnmächtig. Es entsteht ein Bild – und ein Muster. Beide Seiten machen dadurch immer mehr desselben, was für alle beeinträchtigend ist: Wenn ich frustriert Dienst nach Vorschrift mache, reagiert der Chef vielleicht mit noch mehr Kontrolle, worauf meine Frustration weiter gedeiht. Es gilt, diesen Kreislauf zu durchbrechen. In der Beziehung zu einem Vorgesetzten ist es nicht viel anders als in einer Partnerschaft: Man kann lange warten und hoffen, dass ein Wunder geschieht und der andere sich ändert. Man kann aber immer anfangen, sich selbst anders zu verhalten. Im erwähnten Seminar fragte ich die erheblich erbosten Personen dieses Teams: „Haben Sie schon mal in Erwägung gezogen, dass dieser Chef überfordert ist? Dass er spürt, dass Sie ihn als Vorgesetzten nicht akzeptieren, daher hilflos auf die Macht seiner Position zurückgreift und beginnt, alle zu kontrollieren? Könnte es sein, dass dieser Chef Angst hat vor Ihnen als Team?“ Stille im Raum. Nein, das haben sie sich noch nicht überlegt. Und ja, das könnte tatsächlich zutreffen. Noch bevor ich weiterfahren kann, bringt sich eine andere Seminarteilnehmerin ein: „Wie wär’s, wenn Ihr Euren Chef mehr einbezieht? Wenn Ihr quasi selbst macht, was Ihr von ihm erwartet? Wenn Ihr ihm auch mal ein Kompliment macht, wenn er etwas gut macht? Das kann Wunder wirken!“ Wiederum verblüfftes Schweigen. Auf diese Idee wären sie noch nicht gekommen. Also: Versetzen Sie sich in die Situation des Chefs. Erkunden Sie, was das eigentlich für eine Persönlichkeit ist. Fragen Sie sich: Was wäre für eine solche Person hilfreich? So lösen Sie das mentale Drehen um alles, was diese Person objektiv und/oder subjektiv nicht gut macht. Das heisst natürlich nicht, dass Sie schlechtes Führungsverhalten schönreden oder krampfhaft Positives suchen an realen Problemen. Es heißt vielmehr: Neue Sichtweisen einbeziehen, um so zu einem noch anderen Verhalten zu kommen.
  • Für reale, sachliche Probleme reale, sachliche Lösungsideen entwickeln. Natürlich sind mit diesen Schritten reale Probleme noch nicht gelöst. Warten Sie nicht, bis Ihr Chef mit Lösungen kommt. Entwickeln Sie selbst Ideen, was Sie benötigen, um gut arbeiten zu können und was mögliche Lösungen sein könnten: Welche Informationen benötigen Sie? Was würde helfen, gewisse Abläufe besser abzuwickeln? Warum genau ist ein vorgegebenes Ziel auf diese Weise und in dieser Zeit realistischerweise nicht erreichbar – und wie könnte das Ziel anders angegangen werden? Wann würden Sie sagen: „Jetzt gehe ich am Morgen wieder gerne an die Arbeit?“
  • Sachlich, loyal und lösungsorientiert kommunizieren. Benennen Sie, was Sie sehen – etwa in einer Teamsitzung. Oder bitten Sie Ihren Vorgesetzten um ein persönliches Gespräch. Benennen Sie ruhig und nüchtern, was Sie als Problem erkannt haben, etwa „Wir wissen nicht, wie es jetzt mit unserer Abteilung weitergeht. Wir verstehen, dass Sie auch nicht alles wissen. Es wäre für uns aber hilfreich, wenn Sie uns darüber informieren, was der aktuelle Stand ist. Damit wir unsere Arbeit gut machen können, wäre dabei insbesondere wichtig, dass…“

Wenn Sie auf diese Weise Eigenregie übernehmen, werden Sie für den dafür erforderlichen Mut belohnt. Eigenregie wirkt sich immer positiv aus – selbst wenn die vorgesetzte Person nicht zuhört, nicht (gleich) auf Sie eingeht, ja vielleicht ablehnend reagiert. Wo Sie sachlich, loyal und lösungsorientiert vorgehen, können Sie nur gewinnen:

  • Respekt: Mit ein bisschen Glück von allen Beteiligten, immer vor sich selbst. Sie brauchen sich nie vorzuwerfen, nicht das Mögliche versucht zu haben.
  • Klarheit: Entweder erfahren Sie, dass Ihre Anstöße Positives bewirken. Oder – falls das nicht so ist – wissen Sie, was in dieser Organisation (nicht) möglich ist und können sich entweder darauf einstellen oder nach einer neuen Stelle Ausschau halten.
  • Selbstwirksamkeit: Wer sich auf gute Weise einbringt, erfährt, dass oft mehr möglich ist als man denkt, dass man selbst immer Anstöße geben und ein Wörtchen mitreden kann, wie sich Dinge entwickeln. Das macht Mut, stärkt Selbstvertrauen und schützt vor Resignation.
  • Gesundheit: Wer Ärger, Frustration und Ohnmachtsgefühle nicht gedeihen lässt, tut etwas für die eigene Gesundheit. Wenn wir es heute stets mehr mit erschöpften Mitarbeitenden, Absenzen oder gar Burnout zu tun haben, so kann das u.a. ein Symptom eines ungünstigen Umgangs mit den Folgen einer schlecht geführten Organisation sein. Das kann noch zusätzlich Mut machen, aktiv zu werden: Sie tun dies für sich selbst, für Ihre Gesundheit und Lebensqualität.

Sie können Ihren Vorgesetzten nicht auf den Kopf stellen und haben keine Macht über dessen Verhalten. Sie haben aber immer Macht über Ihr eigenes Verhalten. Durch kluges Vorgehen geben Sie andern die Chance, das ebenfalls zu tun. Geben Sie Ihrem Chef diese Chance. Das war das Resultat des oben erwähnten Seminars: Alle Teilnehmenden hatten am Schluss ein Smile im Gesicht und sagten „Es ist sehr anspruchsvoll, wir sind nicht naiv – aber wir wollen unserem Chef nochmals eine Chance geben“.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Sich für Verbesserungen am Arbeitsplatz einsetzen heißt nichts anderes, als sich für positive Veränderung einsetzen. Mein Konzept zu den Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung – der „Veränderungskreis“ © – ist dabei ein nützlicher Orientierungsrahmen. Mehr dazu und viele praktische Anregungen in meinem Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“.
  • Und wer weiß: Vielleicht gibt es in Ihrer Organisation die Möglichkeit, sich vertieft und auch als Team mit dem Thema zu beschäftigen und spezifisch bezogen auf Ihre konkrete Situation Ideen zu sammeln, wie Sie Eigenregie umsetzen können – auch (oder gerade) wenn Ihre Organisation vorbildlich geführt ist, ist es immer ein Gewinn für alle, wenn Mitarbeitende Eigenregie übernehmen. Vielleicht wollen Sie sich dann über unser Angebot „Eigenregie am Arbeitsplatz“ informieren.

 

 


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