Aufbruch aus dem Gefängnis

Grüezi – Guten Tag!

Wie man aus realen Gefängnissen aufbrechen kann in neue positive Situationen habe ich in einem interessanten Gespräch in Sri Lanka erfahren. Eine Geschichte, die zeigt, dass Veränderung möglich ist. Umso schöner, wenn man dazu nicht erst in einem Gefängnis landet.

Eine Bemerkung aus aktuellem Anlass: Nach den schrecklichen Attentaten in Sri Lanka stellte ich mir die Frage, ob ich diesen Newsletter publizieren will. Er ist inspiriert durch einen bemerkenswerten Umgang mit Straftätern in sri-lankischen Gefängnissen. Im Kern geht es dabei um Neuroplastizität, die Erkenntnis, dass unser Gehirn ein Leben lang veränderbar bleibt. Ein sehr aktuelles, entscheidendes Thema, wenn es um Persönlichkeitsentwicklung geht. Es wird auch eine Rolle spielen in meinem neuen Buch. Allerdings kann positive Persönlichkeitsentwicklung ausschließlich auf Basis von Freiwilligkeit, Bereitschaft, Entschlossenheit und Training erfolgen, steht und fällt mit einer persönlichen Entscheidung. Dass es Menschen gibt, die nicht oder nie an diesen Punkt kommen, zeigen (nicht nur) diese Attentate. Das bedeutet zweierlei: Negative Entwicklung erkennen, benennen (nicht vertuschen oder schönreden) und Grenzen setzen – und positive Entwicklung ermöglichen. Das halte ich für entscheidend – sowohl bei individueller als auch bei kollektiver Entwicklung. Auf diesem Hintergrund habe ich mich entschieden, den Newsletter doch und unverändert zu publizieren.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Die interessante Strategie sri-lankischer Gefängnisse…

Wie Sie sich vielleicht von meinem letzten Newsletter erinnern, verbrachte ich anfangs Jahr einige Wochen in Sri Lanka, um an meinem neuen Buch zu arbeiten. Mein Mann und ich wohnten bei Chitra und Tillek, einem älteren Ehepaar, mit dem wir uns über die Jahre angefreundet haben. Die beiden wissen enorm viel über das Land, dessen hochinteressante Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Politik.

Eines Abends erzählte Tillek wieder etwas sehr Interessantes. Er erzählte, dass in sri-lankischen Gefängnissen zwei Strategien verfolgt werden: Die Insassen gehen einer Arbeit nach. Und sie werden auf freiwilliger Basis in Meditation geschult. Dieses Vorgehen ist offenbar erfolgreich. Tillek erzählt, dass viele Teilnehmende dieses Programms ihrem Leben einen positiven Dreh geben können. Und dass es sogar öfters vorkomme, dass sie später selbst als Meditationslehrer arbeiten würden.

Warum ist das interessant? Was sollen Europäer, die noch nie ein Gefängnis von innen gesehen haben, die vielmehr Wege suchen, wie sie Arbeit und Familie unter einen Hut bekommen, einen Partner finden, sich eine neue schöne Wohnumgebung wünschen oder auch ganz einfach genießen, was sie im Leben erreicht haben, mit einer solchen Geschichte?

 

…und was wir daraus mitnehmen können

Als ich diese Geschichte hörte, hat mich nicht nur die Strategie der sri-lankischen Gefängnisse fasziniert. Ich habe auch Bezüge zu meiner Arbeit gesehen. Die Geschichte ist ein Symbol von Hoffnung und Empowerment. Und ein Symbol, dass Veränderung möglich ist, ja, dass man buchstäblich im Gefängnis dem Leben eine Wende geben kann.

Zwei Dinge finde ich besonders interessant.

Erstens: Im Kern geht es hier um die Frage, ob es möglich ist, die eigene Persönlichkeit zu verändern. Diese Frage ist brisant, wenn es um Straftäter geht. Aber sie ist auch relevant für uns alle. Wie Sie vielleicht wissen, beschäftige ich mich seit einiger Zeit mit neueren Erkenntnissen in den Neurowissenschaften. Diese setzen uns in die Lage, das komplexe Zusammenwirken von Denken, Fühlen, Verhalten und damit auch Persönlichkeit besser – und auf wohltuend nicht psychologisierende Weise – zu verstehen. Neurobiologisch heißt Veränderung, dass wir in der Lage sind, Denk- und Verhaltensmuster zu verändern. Heute wissen wir, dass unser Gehirn ein Leben lang veränderbar bleibt, d.h. sich anatomisch und funktionell verändert, wenn es wiederholt und gerichtet neue Impulse erhält. Ja, es gibt Forscher wie etwa der Deutsche Gerhard Roth und der Niederländer Dick Swaab, die davon ausgehen, dass genetische Prägung, Erfahrungen und eingefleischte Muster in Denken, Fühlen und Verhalten höchstens „überschrieben“ werden können. Beide haben dies auch in Bezug auf Straftäter geäussert à la „sie können nicht anders“. Obwohl nicht abzustreiten ist, dass Straftäter neurobiologisch beeinträchtigt sind bzw. sein können und dass diesem Umstand seriös Rechnung getragen werden muss, so gibt die Strategie sri-lankischer Gefängnisse Blick auf einen anderen Zugang bzw. sensibilisiert dafür, dass mit einem anderen Fokus andere Resultate bewirkt werden bzw. dass Straftäter nicht Opfer ihrer Gene, Geschichte, Erfahrungen und Gewohnheiten sein bzw. bleiben müssen. Dass sie sich verändern können. Sofern sie lernen und umsetzen, was Veränderung ermöglicht.

Zweitens: Dass Straftäter für Meditation gewonnen werden können und dadurch Positives in Gang kommt, finde ich bemerkenswert. Wir wissen, dass Meditation ein sehr wirksames Mittel ist, um Bewusstseinszustände, Befindlichkeit, psychische und physische Gesundheit positiv zu beeinflussen. Das wird an sich schon deutlich, wenn man bedenkt, dass Meditation seit Jahrtausenden praktiziert wird. Das wäre nicht der Fall, wenn dadurch nicht Positives bewirkt wird. Darüber hinaus können wir auch hier von neurobiologischen Erkenntnissen lernen: Meditation bewirkt, dass die Gehirnaktivität runtergefahren wird und mehr synchron verläuft. Dadurch kommen wir in einen Entspannungszustand. Dies bewirkt neurale und chemische Prozesse, die sich positiv auf physische und psychische Gesundheit auswirken. Zugleich können wir mit Meditation lernen, unsere Aufmerksamkeit zu fokussieren, körperliche und mentale Reaktionen zu beobachten und uns ihrer damit bewusst(er) zu werden. Darüber hinaus können wir uns in diesem Zustand auf Veränderung einstellen. Wir können z.B. innere Bilder aktivieren, wie ein neues Leben in – buchstäblicher oder übertragener – Freiheit aussieht. Wenn wir dies wiederholt tun und unser Gehirn damit konstant und gezielt neue Impulse erhält, stellt es sich mit der Zeit darauf ein und ermöglicht damit neues Denken, Fühlen und Verhalten. Meditation ist also eine sehr effektive Methode, nicht nur, um zu entspannen, sondern auch, um Gehirn und Körper auf Veränderung einzustellen. Es versteht sich von selbst, dass dies Entschlossenheit, Lernprozesse, Training und Zeit erfordert.

Ich kann mir vorstellen, dass die Gefängnisinsassen nicht nur erfahren, dass sich Meditation positiv auf ihre Befindlichkeit auswirkt. Ich denke, dass sie dies zugleich in die Lage setzt, sich mental vorzubereiten auf Neues bzw. auf eine Zukunft außerhalb des Gefängnisses.

Statt im Gefängnis zu sitzen und um Vergangenes zu drehen, legen diese Menschen praktisch und mental den Boden für ein Leben „nach dem Gefängnis“.

Diese Geschichte löst in mir Assoziationen aus:

  • Nelson Mandela saß ebenfalls im Gefängnis. Statt sich als Opfer zu fühlen oder Hass zu pflegen, beschäftigte er sich mit der Frage: „Was, wenn ich hier rauskommen würde?“ Er versetzte sich mental in einen wünschenswerten Zustand in der Zukunft und pflegte dieses Bild: Was würde er dann machen? Wie müsste die Zukunft seines Landes aussehen? Was könnte er beitragen? Damit legte er die Basis, um nach der Freilassung an die Arbeit zu gehen. Hätte er im Gefängnis mental um sein Gefangensein gedreht, wäre das wohl kaum passiert.
  • Mahatma Gandhi hatte sich wie Mandela mit Missständen auseinandergesetzt und diese auch mutig benannt. Doch auch er fokussierte auf sein inneres Bild einer wünschenswerten Zukunft. Dies so intensiv und mit so langem Atem, dass es schließlich zur Unabhängigkeit eines riesigen Landes führte.
  • Frida Kahlo, die mexikanische Malerin, war nach einem Unfall als noch nicht 20-Jährige lange ans Bett gebunden. Sie ließ sich einen Spiegel über das Bett montieren und fing an, zu malen, was sie sah: Sich selbst. Sie hat auf diese Weise ein körperliches Gefängnis zu bewältigen versucht. Auch wenn sie ihr Leben lang an den Folgen des Unfalls litt, so hat sie mit dem Malen Wege gesucht und gefunden, aufzubrechen.
  • Ein Mann mit Parkinson, der mir in einem meiner Seminare auffiel, schreibt mir: „Für mich gehen immer wieder Türen auf.“ Er erhielt Mitte 30 die Diagnose. Er musste seine berufliche Karriere aufgeben. Und was hat er gemacht? Er hat sein Hobby leidenschaftlich zu professionalisieren begonnen: Naturphotographie. Kürzlich bin ich ihm wieder begegnet. Er erzählte von einer erneuten Reise zum Polarlicht. Er war mit einer kleinen Gruppe unterwegs. Als sie sich eines Abends aufmachten, fragte ihn jemand aus der Gruppe, welches Objektiv er am besten mitnehmen solle. Seine Antwort: „Nimm alle mit. Es ist einzigartig, hier zu sein. Und Du weißt im Vornherein nicht, welches Objektiv Du dann brauchst.“ Er erzählte mir, dass viele jeweils früh zurück ins warme Hotel zurückkehrten, während er nicht aufhören konnte, das Polarlicht zu bestaunen und zu fotografieren. Er strahlt so viel Energie und Freude aus.

Was können wir, die noch nie ein Gefängnis von innen gesehen haben, mitnehmen? Dass wir mental nicht bei Vergangenem oder auch realen Schwierigkeiten hängen bleiben, uns zwar sehr wohl damit auseinandersetzen, doch zugleich fokussieren auf neue Möglichkeiten, neue Weisen, zu denken, zu fühlen, zu handeln. Dass wir nicht unglücklich werden, wenn wir uns wie in einem Gefängnis fühlen. Sondern unseren Teil dazu beitragen, dass es möglich wird, aufzubrechen.

Die Arbeit mit dem Veränderungskreis © erweist sich dabei als nützlich: Genau hinschauen, einen motivierenden Horizont entwickeln und durch Schritte in dessen Richtung das Vertrauen aufbauen, dass Veränderung möglich ist. Damit wird der „Boden“ gelegt, auf dem Veränderung einsetzen kann. Meditation ist dazu nicht zwingend notwendig, kann aber sehr unterstützend sein. Wer lernt, Entspannungszustände herzustellen, ist besser in der Lage, wach und bewusst hinzuschauen, neue Perspektiven zu entwickeln und mögliche Schritte der Umsetzung zu bestimmen.

Ich wünsche Ihnen die Freude an neuen Erfahrungen und der Befreiung, die darin liegt, aufzubrechen.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

 

 


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