Die Kunst der Selbstberuhigung

Grüezi – Guten Tag!

Warum es gerade jetzt wichtig ist, sich in der Kunst der Selbstberuhigung zu üben – darum geht es in diesem Newsletter. Je mehr Stress, desto wichtiger ist dies. Ist es überhaupt möglich, in diesen Zeiten ruhig zu bleiben? Ohne sich etwas vorzumachen, Scheuklappen anzuziehen oder Wunschdenken zu pflegen? Ich hoffe, ich kann Ihnen ein paar Dinge in Erinnerung rufen und Sie ermutigen.

Mit meinen besten Wünschen an Sie,

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Mitten in Bewegung, Instabilität, Stress…

Ja, vielleicht kommt Ihnen dieser Titel bekannt vor… damit habe ich meinen letzten Newsletter im Januar begonnen. Ich hätte nicht gedacht, wie sehr er zusätzlich an Aktualität und Bedeutung gewinnen würde während dem Unterbruch, den ich genutzt habe, um mein neues Buch fertig zu schreiben.

Zuerst: Ich hoffe, es geht Ihnen so gut wie möglich. Schön, wenn Sie sich überhaupt noch einen Moment Zeit nehmen, um sich mit dem Thema dieses Newsletters zu beschäftigen.

Seit meiner letzten Newsletter-Ausgabe hat sich vieles geändert. Ich schließe bei der gleichen Thematik an. Ich hatte es dort davon, wie wichtig es ist, mitten in Bewegung, Instabilität und Stress strukturell Ruhe zu schaffen. Jetzt ist dies noch wichtiger. Zugleich ist es paradox: Obwohl allgemein bekannt ist, wie wichtig es ist, immer wieder Ruhe und Distanz zu schaffen, gelingt es oft gerade dann am wenigsten, wenn es besonders nötig ist.

Ohne Zweifel ist die gegenwärtige Situation Nährboden für Stress. Es gibt reale Gründe, gestresst zu sein. Gründe, die über den Umgang mit einem Virus hinausgehen.

M.E. ist es essenziell, sich gegenwärtig zu halten, was Stress neurobiologisch bewirkt. Wissen setzt in die Lage, sich an der Hand zu nehmen, gerade jetzt. Vielleicht wollen Sie auch noch einmal die Januar-Newsletter-Ausgabe lesen. Hier die wichtigsten Punkte:

  • Stress bewirkt, dass unser Gehirn und Körper auf das Notfallprogramm umschalten – im Kern, um uns in die Lage zu setzen, zu überleben.
  • Ausgelöst wird dies durch unsere Wahrnehmung, unser Denken und Fühlen. Wir nehmen Gefahr wahr. Gehirn und Körper machen dabei keinen Unterschied, ob wir akut bedroht sind oder ob wir mental auf vergangene oder in der Zukunft befürchtete Probleme fokussieren. Die neurobiologischen Prozesse sind die gleichen.
  • In Stress ruht unsere Aufmerksamkeit auf Umständen, auf dem, was wir als Gefahr, Bedrohung wahrnehmen. In Stress sind wir sozusagen „außerhalb uns selbst“. Das ist neurobiologisch sinnvoll: Wir müssen Gefahren sehen, um sie bewältigen zu können.
  • Nur: In Stress geschehen physiologisch auch einige Dinge, die uns jetzt das Leben erst recht schwer machen können: Unsere Gehirnaktivität ist erhöht; es geht alles durcheinander im Kopf. Wir können nicht klar denken, Übersicht geht verloren, wir kommen nicht auf gute Ideen. Schön, wenn es Ihnen nicht so geht. Es ist aber sehr verständlich, dass das jetzt wohl bei vielen abläuft: Werde ich meine Stelle behalten? Was mache ich nur mit den Kindern, die Mühe haben, sich aufs Lernen zu Hause einzustellen? Wann kann ich wieder Freunde treffen? Und natürlich: Wie überlebe ich dies finanziell? Vielleicht auch: Wie wird das „nachher“ aussehen? Kein Wunder, wenn dies beeinträchtigende Gefühle auslöst. Was erneut zu belastenden Gedanken führt… Und: In Stress wird der Sympathikus aktiviert, jener Teil des vegetativen Nervensystems, der uns in die Lage setzt, Schwieriges zu meistern. Sein Gegenspieler, der Parasympathikus, ist deaktiviert, d.h. innere Prozesse der Regeneration und Erhaltung unserer Gesundheit werden runtergefahren, u.a. das Immunsystem. Auch das macht neurobiologisch Sinn: Die Energie wird jetzt für den Umgang mit der Gefahr benötigt.
  • Doch genau dies wäre jetzt essenziell: Regeneration und ein kräftiges Immunsystem. Und: Überblick, einen klaren Kopf, nützliches Denken, gute Ideen, Energie spendende Gefühle. Genau dies würde uns helfen, die aktuellen Probleme zu bewältigen.
  • Neurobiologisch ist es entweder oder: Wir sind physiologisch in einem Stress-/Survival- oder in einem (Re)Creation-/Entspannungs-Kreislauf. Wir können nicht gleichzeitig in Stress und Entspannung sein. Aktiviert wird entweder der Sympathikus oder der Parasympathikus. Es sind entweder Stresshormone, die uns auf Trab halten oder Hormone und andere nützliche Stoffe wie Antikörper (Eiweiße im Blut), die unser Abwehrsystem intakt und uns gesund halten. Wir können nicht gleichzeitig unseren Aufmerksamkeitsfokus verengen, um ein Problem unter die Lupe zu nehmen und Überblick haben. Wir können nicht gleichzeitig auf Probleme fokussieren und Zugang haben zu unseren inneren Ressourcen. Wir können nicht gleichzeitig erhöhte Gehirnaktivität haben und zugleich klar denken und auf gute Ideen kommen. Wir können nicht gleichzeitig stressrelatierte Gefühle haben und Gefühle, die uns Mut machen. Es ist entweder oder. Julius Kuhl, emeritierter Professor für Differentielle Psychologie, schließt in seiner sehr interessanten PSI-Theorie – einer umfassenden Persönlichkeitstheorie, in der auch neurobiologisches Wissen integriert ist – hier an: Es ist wichtig, uns mit Problemen auseinanderzusetzen. Und es ist wichtig, immer wieder Distanz zu nehmen, Erfahrungen in ein größeres Ganzes zu setzen. Nur so haben wir physiologisch Zugang zu Ressourcen, guten Ideen. Es würde zu weit führen, auf diese Theorie einzugehen. Was aber hier wichtig ist: Kuhl streicht hervor, dass ein Element entscheidend ist, um zwischen Problemanalyse und Überblick wechseln zu können: Die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, nicht hängen zu bleiben bei Problemen und allen damit verbundenen beeinträchtigenden Gefühlen.

 

…sich in der Kunst der Selbstberuhigung üben

Was heißt das jetzt? Ich will Ihnen nicht noch zusätzlich Stress machen – „oh, jetzt muss ich auch noch entspannen“. Ich will Sie vielmehr ermutigen, so gut wie möglich den (Re)Creation-Modus zu aktivieren. Ja, ein Stück weit ist dies widernatürlich; wenn es Gefahr gibt, schalten unser Gehirn und Körper auf das Notfallprogramm um. Versuchen wir, Ruhe zu schaffen, fühlt sich das merkwürdig an. „Ich kann doch jetzt nicht…“, „Ich muss doch jetzt…“, „Es ist doch wirklich sehr schlimm…“ Das ist völlig normal. Doch gerade deshalb ist Wissen so wichtig. Wissen hilft, sich an der Hand zu nehmen.

Mit pragmatischen Schritten können Sie dies üben. Das beinhaltet gegenwärtig etwa:

  • Genau hinschauen. Beobachten Sie, worauf Ihr Aufmerksamkeitsfokus liegt, was dominante Gedanken und Gefühle sind. Wie wirken sich diese auf Ihr Verhalten aus? Helfen sie, die aktuelle Situation zu bewältigen? Oder ziehen sie noch mehr in Unerwünschtes, Schwächendes? Schon damit schaffen Sie Distanz. Vielleicht wollen Sie sich in der Kunst üben, Negativspiralen bewusst zu unterbrechen, die Aufmerksamkeit auf Dinge zu richten, die jetzt hilfreich sind, ermöglichen, auf Ideen zu kommen, wie Sie Probleme angehen können. Das kann damit beginnen, dass Sie eine „Notfallliste“ erstellen – was hilft Ihnen in kritischen Momenten, nicht abzudriften?
  • Den Medienkonsum einschränken. Wenn wir immer wieder Bilder sehen und Nachrichten hören, wie viel Menschen über Nacht wieder neu das Virus eingefangen haben, wie viele gestorben sind usw., aktivieren wir die innere Stressspirale (zusätzlich). Je mehr wir darauf fokussieren und uns damit beschäftigen, desto weniger sind wir in der Lage, Distanz und Überblick zu kreieren, zusätzliche, andere Sichtweisen einzunehmen. Wenn wir nur noch ein Thema im Kopf haben, legen wir die Basis zu Panik.
  • Struktur. Gerade jetzt, wo viele zu Hause arbeiten müssen, ist dies wichtig. Sich selbst einen Tagesrhythmus schaffen. Sie bringen sich mehr in einen (Re)Creation-Modus, wenn Sie Ideen entwickeln, wie Sie jetzt Ihren Alltag so klar und zugleich angenehm wie möglich gestalten können. Mit Pausen. Raum für soziale Kontakte, auch wenn diese nicht physisch sind. Und Belohnungen. Das schafft Ruhe.
  • Raum schaffen für Wohltuendes. Sie wissen selbst am besten, was dies beinhaltet. Alles was hilft, Distanz zu nehmen, sich an etwas freuen zu können, Energie zu tanken, ist gut. Und wichtig. Sie kommen auf andere Gedanken und in andere Gefühle. Damit können Gehirn und Körper auf Entspannung umschalten. Haben Sie kein schlechtes Gewissen. Sie tun gerade etwas sehr Wichtiges.
  • Kreativität pflegen. Not macht erfinderisch. Offenheit dazu ermöglicht neue, positive Erfahrungen. Vielleicht wollen Sie sich selbst die Aufgabe geben, kreative Lösungen zu finden für Dinge, die im Moment nicht wie gewohnt gehen.
  • Energielöcher meiden und selbst kein Energieloch sein. Es verstärkt Stresskreisläufe, wenn man auch in den sozialen Kontakten nur noch um das eine Thema kreist. Natürlich ist es wichtig, Sorgen äußern zu können. Wenn dies Dauerzustand wird, ist niemandem gedient. Wechseln Sie das Thema. Wie wäre es, Ihren Nachbarn eine Flasche Wein oder einen Blumenstrauß zu bringen bzw. mit einer netten Karte vor die Haustüre setzen? So tragen Sie dazu bei, dass Sie und andere mehr in einen (Re)Creation-Modus kommen können. Zweifeln Sie nicht an sich, wenn Sie schief angeschaut werden, als sei es eine Anmaßung, jetzt so etwas zu tun. Mit kollektiver Depression ist niemandem gedient. Es versteht sich von selbst, dass es nicht um künstliche Heiterkeit geht.
  • Sich ablenken. Auch das ist nicht verkehrt. Auf andere Gedanken zu kommen ermöglicht Gehirn und Körper, in einen (Re)Creation-Modus zu kommen. Warum nicht einen alten Schmöker lesen?
  • Selbst denken bleiben, bewusst alternative Sichtweisen einnehmen, so gut wie möglich Distanz nehmen und sich Überblick verschaffen. Wie kann man die aktuelle Situation noch anders sehen? Was gibt es noch außer Corona? Was funktioniert noch? Wofür können wir dankbar sein?
  • Innere und äußere Freiheit wertschätzen, hochhalten und pflegen. Wie im Januar-Newsletter erwähnt: Wenn viele Menschen sich in Stress bewegen, haben wir ein Kollektiv, das sich wie ein Individuum in Stress verhält. Wenn Menschen kollektiv in Stress kommen, sind sie anfälliger für Manipulation sowie dafür, Freiheiten einzuliefern. Sie sind anfälliger, blind Anweisungen zu folgen. Sie sind anfälliger für Schuldgefühle, wenn sie sich nicht so verhalten wie das Kollektiv. Selbstverständlich ist es sinnvoll und vernünftig, jetzt all die Maßnahmen einzuhalten – nicht unnötig unter Menschen, Distanz einhalten, Hände waschen, Hygiene ernst nehmen usw. Aber sich kollektiv zu Hause einsperren lassen lindert Stress nicht, sondern schürt diesen und schwächt damit letztlich Gesundheit. So ist bekannt, dass im Winter mehr alte Menschen sterben, nicht, weil es kalt ist, sondern weil sie weniger bewegen. Obwohl ich Entwicklungen hier in den Niederlanden nicht nur mit gutem Gefühl verfolge, so wird hier jetzt erfreulich vernünftig gehandelt: Menschen dürfen noch auf die Straße, sie gehen spazieren, fahren Velo, joggen – und halten sich pragmatisch und diszipliniert an die Regeln. Die Atmosphäre ist trotz allem entspannt – obwohl auch hier viele reale Sorgen haben. So können wir alle dazu beitragen, dass nicht alles noch schlimmer wird. Also: Nutzen Sie so gut wie möglich Bewegungsfreiräume. Und schauen Sie überall genau hin, wo (neu) gefordert wird, Freiheiten unnötig einzuschränken. Damit tragen Sie dazu bei, dass wir nicht in absehbarer Zeit überall kontrolliert werden, nichts mehr dürfen, alles müssen.
  • Sich mit Wünschenswertem auseinandersetzen. Was wird mir in dieser Krise bewusster? Was ist mir wirklich wichtig? Wie will und kann ich mich dafür einsetzen – jetzt und später? Was kann ich an meiner Stelle tun, um dazu beizutragen, dass die Situation nicht völlig eskaliert?

Es würde mich sehr freuen, wenn Sie in diesem Geist dazu beitragen, dass wir nicht kollektiv in Panik geraten und Eigenregie zu schnell abgeben. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie sich darin üben, sich an der Hand zu nehmen, so gut wie es eben geht. Wenn Sie sich gegenseitig darin ermutigen – statt gemeinsam zu klagen. Wenn Sie jeden Tag mit Ihrem Umgang mit der Situation Positives bewirken und erfahren – vielleicht eine andere Person ermutigen, erfahren, dass Sie eher auf Ideen kommen als wenn Sie gebannt an den News hängen oder dass echte Hilfsbereitschaft zu neuen Erfahrungen und positiven Kontakten führt.

Ich mache das auch. So gut wie möglich.

Last but not least: Ja, das Manuskript für mein neues Buch ist fertig. Es ist jetzt beim Verlag. Es wäre schön, wenn das Buch wie geplant im Herbst auf den Markt kommen kann. Der Titel: „Veränderungskompetenz fördern. Für Professionals in Führung, Beratung und Therapie“. Ich hätte nicht gedacht, dass die Thematik auf diese Weise zusätzlich an Relevanz gewinnen würde.

Ich wünsche Ihnen das Beste. Gesundheitlich. Körperlich. Und mental. Klaren Kopf. Offenes Herz. Gesunden Verstand. Kritisches Denken. Distanz. Und viel Wohltuendes, Ermutigendes, überraschend Positives.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

 


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