Echtheit

Grüezi – Guten Tag!

Wann nehmen Sie eine Person als „echt“ wahr?  Welche Merkmale hat eine solche Person? Und: Wie findet man einen guten Weg, echt zu sein in Zeiten, in denen vieles auf Wirkung ausgerichtet ist? Mit diesem Newsletter möchte ich Lust aufs Nachdenken über eine wichtige Thematik wecken. Und natürlich Mut machen, selbst auf eine Weise echt zu sein, die Positives ermöglicht.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Wenn „etwas darstellen“ wichtiger ist als „echt sein“…

In einem Seminar, das ich kürzlich gab, erzählt eine Teilnehmerin, die als Personalleiterin arbeitet: „Wenn ich Vorstellungsgespräche führe, habe ich oft den Eindruck, dass ich es mit einer Fassade zu tun habe – was die Personen sagen, wirkt aufgesetzt, auswendig gelernt. Dann versuche ich, den Zugang zur Person zu finden, zu dem, was diese Person ausmacht, was sie selbst denkt, was ihre echten Interessen und Talente sind. Es ist immer schön, wenn das gelingt.“

Eine wichtige Bemerkung und Beobachtung.

Denn: Viele Menschen – nicht nur in Bewerbungsgesprächen – sind in erster Linie darauf fokussiert, gut zu wirken. Es ist natürlich nichts falsch damit. Doch es wird kritisch, wenn sich die Art, wie wir uns präsentieren, entkoppelt von dem, was wir im Inneren denken, fühlen, sind. Wenn wir uns damit von uns selbst entfremden.

Wie kommt das? Mögliche Gründe:

  • Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz: Man denkt, spricht und verhält sich „sozial erwünscht“. Man richtet das eigene Denken und Verhalten daran aus, was vermeintlich dazu führt, gut dazustehen und akzeptiert zu werden.
  • Wettbewerb: Man lässt sich hineinziehen in den Wettbewerb, schöner, schneller, besser, gescheiter, erfolgreicher zu sein/sein zu müssen als die anderen.
  • Druck: Man hat das Gefühl, perfekt sein zu müssen, um bestehen zu können.
  • Selbstschutz: Man will kein „offenes Buch“ sein, sei es, weil man damit schlechte Erfahrungen gemacht hat, sei es, weil man diese vermeiden will.
  • Scham: Man will sich keine Blöße geben.
  • Mangelnder Zugang zu sich selbst: Man weiß eigentlich gar nicht so genau und beschäftigt sich auch nicht damit, wer man selbst ist, was man selbst denkt und fühlt, was einem wichtig ist, was wichtige Motive des Handelns sind, wie es kommt, dass man so und nicht anders denkt, fühlt, handelt.

 

Echtheit: Was ist darunter zu verstehen? Wie kommt es dazu? Warum ist sie wichtig?

Wann ist eine Person „echt“? Oder, um den etwas strapazierten Begriff zu brauchen: „authentisch“? Vielleicht denken Sie jetzt spontan an Personen, die Sie als „echt“ erfahren. Wie würden Sie diese Personen beschreiben?

Grundsätzlich kann man sagen: Echt ist, wessen Denken, Fühlen und Verhalten übereinstimmen. Doch dieses Verständnis ist mir hier zu allgemein. Denn: So gesehen ist auch jemand echt, der sich völlig mit sozial erwünschtem Denken und Verhalten identifiziert. Und so gesehen ist auch jemand echt, der destruktive Denk- und Verhaltensweisen pflegt, beispielsweise kein gutes Haar an sich selbst lässt, elende Gefühle über sich selbst pflegt und dies auch im Verhalten zum Ausdruck bringt: Etwa schlecht über sich selbst redet, sich nichts zutraut, sich in Beziehungen klein macht, vieles erduldet.

Wenn ich hier das Thema „Echtheit“ aufnehme, so will ich auf etwas anderes hinaus: Nämlich darauf, dass Denken, Fühlen und Verhalten auf Persönlichkeitsentwicklung, positive Entfaltung angelegter Talente und Stärken, Verwirklichung wichtiger Lebenswünsche ausgerichtet ist – statt auf sozial erwünschtes Verhalten, Aufrechterhalten beeinträchtigender Denk- und Verhaltensmuster oder Flucht in einen Egotrip.

So verstanden sind Merkmale von Menschen, die auf mich echt wirken:

  • Sie sind erfrischend natürlich und lebendig;
  • Sie wirken positiv ohne dass es krampfhaft wirkt – sie müssen nicht an allem etwas Positives sehen, sie machen keinen Hehl daraus, wenn es ihnen einmal schlecht geht oder es einen Misserfolg zu verarbeiten gibt;
  • Sie haben Zugang zu sich selbst: Sie setzen sich mit sich selbst auseinander. Sie kennen ihre Stärken und Schwächen, sie können sich selbst realistisch einschätzen. Sie akzeptieren sich wie sie sind;
  • Sie haben einen „inneren Kompass“ und den Mut, eigenständig zu denken und zu handeln – selbst, wenn sie damit auf Kritik oder Ablehnung stoßen;
  • Sie stehen zu sich – ohne sich zu inszenieren;
  • Was sie sagen, kommt von Herzen und ist „gewachsen“ – sie sind zu ihren Anschauungen gekommen, weil sie sich auf eigenständige Weise mit Dingen auseinandersetzen;
  • Sie sagen, was sie denken und tun, was sie sagen – man weiß, woran man ist;
  • Sie akzeptieren andere wie sie sind und begegnen ihnen mit Respekt und auf Augenhöhe – sie machen weder sich selbst noch das Gegenüber klein;
  • Sie sind offen für Sicht- und Denkweisen anderer;
  • Es wird einem in der Gegenwart solcher Menschen nie langweilig;
  • Man fühlt sich in der Gegenwart solcher Menschen wohl.

So verstandene Echtheit zu erlangen, erfordert (in Orientierung an den Sozialpsychologen Michael Kernis & Brian Goldmann, die Authentizität mit vier Komponenten verbinden):

  • Selbstreflexion: Echtheit erfordert, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, mit eigenen Stärken und Schwächen, Aspekten der eigenen Persönlichkeit, dominanten Gefühlen und deren Auswirkung aufs Verhalten. Selbstreflexion ermöglicht, sich eigener Anschauungen, Motive, Gefühle, Bedürfnisse bewusst zu werden. Das beinhaltet Auseinandersetzung mit Fragen wie: Was denke und fühle ich wirklich? Wie komme ich darauf, so zu denken und zu fühlen? Wie wirken sich mein Denken und Fühlen auf mein Verhalten aus? Bin ich damit in der Lage, mein Leben auf eine Weise zu gestalten, die zu für mich wünschenswerten Resultaten führt?
  • Offenheit und Ehrlichkeit: Echtheit erfordert, sich ehrlich und offen – nicht moralisierend, wertend, psychologisierend! – mit sich und der Realität auseinanderzusetzen. Das beinhaltet etwa: Bin ich bereit, mich auch mit Unangenehmen auseinanderzusetzen? Bin ich bereit, genau hinzuschauen, Fakten zu sammeln, zu erkennen, wenn ich mir im Weg stehe oder wenn ich mir oder anderen etwas vormache?
  • Selbstbestimmtes, kongruentes Verhalten: Echtheit erfordert, sich in Orientierung an eigenen Werten, Neigungen und Bedürfnissen zu verhalten. Das Verhalten ist nicht in erster Linie darauf ausgerichtet, anderen zu gefallen, belohnt zu werden bzw. negative Reaktionen zu vermeiden. Also: Habe ich den Mut, in Übereinstimmung mit dem, was ich selbst denke, was mir wichtig ist, zu handeln – auch wenn es nicht sozial erwünscht ist, nicht mainstream-Denken entspricht?
  • Selbstbestimmtes, offenes, kongruentes Verhalten in Beziehungen: Echtheit erfordert, Offenheit und Wahrhaftigkeit im Umgang mit (nahestehenden) Menschen wertzuschätzen, wo angemessen, auch unangenehmere Seiten von sich selbst zu zeigen. Also: Bin ich bereit, in Beziehungen zu zeigen, wie ich wirklich denke und fühle, was mir wirklich wichtig ist? Bemerkung: Es geht nicht darum, sich bloßzustellen, allen alles zu zeigen. Es geht darum, dass das, was man zeigt, echt ist.

Nun die Gretchenfrage: Warum soll man echt sein? Wozu ist das gut? Ist das nicht gefährlich? Setzt man sich nicht in die Nesseln? Muss man nicht mit Ablehnung rechnen? Wo kämen wir denn hin, wenn jeder zeigt, wie er/sie wirklich denkt und fühlt? Nun, vielleicht weiter als gedacht… sofern Echtheit nicht zur Masche verkommt, mit sich-zur-Schau-stellen oder einem Egotrip verwechselt wird.

Anders gefragt: Was lässt sich mit „Echtheit“ gewinnen? Man gewinnt sich selbst. Wer Echtheit im oben beschriebenen Sinn erlangt, hat Zugang zu sich selbst. Das ist die Basis, auf der er oder sie Regie übernehmen, das Leben gestalten und die ureigenen Interessen, Fähigkeiten, Potentiale entfalten kann.

Wie würde das doch das Leben einfacher, farbiger, interessanter machen. Und (nicht nur) die Personalleiterin, von der ich eingangs erzählt habe, müsste dann nicht Energie und Zeit investieren, um hinter die Fassade zu kommen und dem Menschen zu begegnen.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Echtheit ist gebunden an Selbstreflexion. Selbstreflexion erfordert Bereitschaft, genau hinzuschauen. Zugleich knüpft die Frage an, was denn Perspektiven sind, die ermöglichen, Talente, Fähigkeiten, wichtige Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Und Echtheit wird gefördert durch das Vertrauen, dass sich der nötige Mut und die „Kleinarbeit“ lohnen, dass Echtheit Positives bewirkt. Das alles heißt, sich in Orientierung am „Veränderungskreis“ ©, meinem Konzept zu den Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung, auf den Weg zu machen. Dieses Konzept ist ausführlich beschrieben in meinem Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“.

 

 


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