Eigenregie im Umgang mit Strukturen, Regeln, Bürokratie

Grüezi – Guten Tag!

Immer mehr Menschen fühlen sich (nicht nur) bei der Arbeit eingeengt in Strukturen und Vorschriften, die wenig Raum lassen für selbstständiges Denken und selbstverantwortliches Handeln. Sie stöhnen über stets mehr und stets ändernde Regeln und zunehmende Bürokratie. Viele fühlen sich ohnmächtig: „Was kann ich hier schon tun?!“ Mit diesem Newsletter ermuntere ich Sie, einen anderen Weg zu wählen als Ärger oder Resignation.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Wenn Strukturen, Regeln und Bürokratie überhand nehmen…

Am Anfang eines Seminars für Beratungsprofessionals stelle ich die Frage: „Wann würdet Ihr sagen, Ihr habt in diesem Seminar Nützliches für Eure anspruchsvolle Beratungsarbeit gelernt?“ Lange ist es still. Dann kommen Inputs, die mehr mit Strukturen und Rahmenbedingungen zu tun haben als mit der eigentlichen Beratungsarbeit. Die Aufmerksamkeit der Seminarteilnehmenden ist absorbiert. Sie bleiben mental „hängen“ beim Kontext ihrer Arbeit.

Eine andere Situation: Ich plaudere mit einem Nachbarn an unserem Wohnsitz in der Schweiz, einem Bergbauer. Diese Leute sind Anpacker, Aufbrecher, wie ich dies nenne: Sie stellen sich mit stabilem inneren „Anker“ den Herausforderungen, heute als Bergbauer zu überleben. Kein Zuckerschlecken. Dieser Nachbar erzählt von der Flut immer wieder neuer Gesetzgebungen, Regeln sowie der Bürokratie, die damit einhergeht. So muss z.B. heutzutage eine Kuh einen „lückenlosen Lebenslauf“ haben, d.h. es muss zu jeder Zeit erfasst sein, wo sie sich befindet, sonst gibt es Abzug beim Schlachthof. Das heißt, wenn eine Kuh auf der Alp krank wird und zum Hof zurückgefahren wird, muss das erfasst werden. Das Kerngeschäft der Bauern ist die Arbeit mit Tieren und die Bewirtschaftung des Landes, nicht das Erfassen und Verwalten von Daten am Computer. Mein Nachbar sagt nüchtern: „75% der neuen Regeln machen uns lediglich das Leben schwer und senken die Produktivität; unternehmerisch würde ich sie nie einführen. Doch ich muss darauf einsteigen, weil mir sonst die Subventionen gestrichen werden. Dann kann ich meinen Hof schließen.“ Nota bene sind hier die meisten Bauern, selbst wenn sie einen stattlichen Hof betreiben, oft bis 50% oder mehr andernorts erwerbstätig – am Skilift, im Dorfladen, bei der Gemeindereinigung etc. Interessant: Man hört sie nie jammern.

Eine dritte Situation: Im gleichen Bergtal gibt es eine neue Regelung in Bezug auf Einzonung von Bauland. Was auf den ersten Blick vernünftig tönt – Stichwort Zersiedelung – ist in Wirklichkeit ein „Papiertiger“, der den lokalen Realitäten nicht gerecht wird und langfristig (fast) allen schadet. Eine initiative Gemeindepräsidentin hat Kollegen und Kolleginnen aus der Region zusammengetrommelt. Sie entscheiden, mit den verantwortlichen Politikern zusammenzusitzen, die realen Probleme sachlich zu benennen, Konsequenzen aufzuzeigen und Lösungsvorschläge einzubringen.

Die Beispiele könnten beliebig weitergeführt werden: Da ist der Banker, der sagt, er sei heute mehr Experte im Ausfüllen von Formularen als Anlageberater. Oder die Frau, die als Professional in der Alterspflege arbeitet und seufzt, dass heute sogar das Abfüllen von Medikamenten gefilmt werden muss. Oder die Physiotherapeutin, die erzählt, dass sie pro Klient 60 Minuten zur Verfügung hat; würde sie allen erforderlichen Papierkram in dieser Zeit machen, blieben noch 15 Minuten für den Klienten. Oder auch unser aufgewecktes Nachbarsmädchen, das mit seinen sechs Jahren schon eine gute Schwimmerin ist, aber ein (teures) Schwimmbrevet haben muss, um im Hallenbad zugelassen zu werden. Sicher kommen Ihnen eigene Beispiele in den Sinn.

Regeln und Prozeduren haben Sinn. Bis sie zum Selbstzweck werden bzw. vermeintliche Sicherheit garantieren sollen. Und damit meist das Gegenteil bewirken: Sie beeinträchtigen eigenständiges Denken und selbstverantwortliches Handeln. Damit erhöht sich das Fehlerrisiko und Effektivität nimmt ab. Wir wissen aus organisations- und motivationspsychologischen Untersuchungen, dass Beteiligung, Mitdenken, Gestaltungsfreiräume und Verantwortung nicht nur Leistung und Effizienz, sondern auch Motivation und (Arbeits-)Zufriedenheit fördern.

Wie mit der zunehmenden Flut an Regeln und Bürokratie umgehen?

Können wir noch wählen, mitgestalten, mitdenken? Oder haben wir keine Wahl? Sind wir Opfer von Strukturen, Regeln und „Papiertigern“?

Was ist Ihre spontane Antwort?

 

Alternativen zu Ärger, Ohnmachtsgefühlen und Resignation

Viele Menschen – so auch die Beratungsprofessionals, von denen ich oben erzählte – flüchten in Debatten über die heutige Zeit: „Es ist verrückt“, „Die Welt ist ungerecht“, „Wir brauchen mehr Geld“. Oder auch: „Unsere Organisation ist schlecht geführt“, „Die da oben tun eh, was sie wollen“. Es gibt viele gute, berechtigte Argumente. Nur: Nach verständlichem und auch mal wohltuendem Schimpfen (mach ich auch!) ist man wieder am gleichen Punkt. Ändern tut sich nichts.

Daher, und da es hier ja um „Umgang mit Veränderung“ geht, ist es produktiver, zu fragen:

Wie kann ich Rahmenbedingungen, Regeln und Bürokratie begegnen, ohne daran zu leiden? (Wie) kann ich Eigenregie bewahren oder übernehmen? Wie kann ich mich für Verbesserung einsetzen – konkret in der Situation, die mich stört, Motivation und Lebensqualität untergräbt?

Wenn man es mit einschränkenden Rahmenbedingungen, Kontrollmechanismen, aufwändigen Prozeduren und Bürokratie zu tun bekommt, gibt es grob gesagt zwei Möglichkeiten, wie man damit umgehen kann. Sie führen beide in eine Spirale. Die eine Spirale führt letztlich in Resignation. Die andere lässt immer wieder erfahren, dass es möglich ist, Regie zu übernehmen.

  • Frustrationsspirale: Wenn es um den Umgang mit Strukturen und Regeln geht, sieht das etwa so aus: Ich leide („All diese Regeln vermiesen mir die Freude an der Arbeit“), ärgere mich („Warum nur muss ich das alles machen!“, „Alles nur Schikane!“), suche Gründe und Schuldige („Es geht nur noch um Profit“, „Die blöden Politiker!“), fühle mich als Opfer („Als einfache Arbeitskraft habe ich eh nichts zu sagen“), strenge mich vielleicht an („Ich muss Überstunden machen, um den Papierkram noch zu erledigen“). Mit der Zeit leiden Motivation („Ich mach jetzt halt Dienst nach Vorschrift“), vielleicht auch die Gesundheit („Ich schlaf nicht mehr gut und kann nicht mehr entspannen“), Lebensqualität („Ich habe mir das Leben anders vorgestellt“) und stellt sich die Sinnfrage („Wozu das alles?!“). Und bei allem „vergesse“ ich, mich zu fragen, was ich denn hier unternehmen kann, um aus dieser Misere hinauszukommen. Wenn mich einer darauf anspricht, bin ich entweder erstaunt („Gar nicht daran gedacht“), reagiere gereizt („Ach du mit Deinem positivem Denken“) oder verteidige den Status Quo („Da kann ich nichts machen“). Es dürfte deutlich sein: So verständlich diese Spirale ist, so schädlich ist sie letztlich für das eigene Wohlbefinden, Selbstwertgefühl und die Lebensqualität. Glücklicherweise gibt es noch eine andere Spirale:
  • Motivationsspirale: Wenn es um den Umgang mit Strukturen und Regeln geht, sieht das etwa so aus: Ich beobachte, dass ich mich häufig ärgere, oft schlecht drauf bin, mir die Freude an der Arbeit vergeht und ich mit Gedanken liebäugle, auf eine einsame Insel zu fliehen… Ich nehme mir Zeit, zu schauen, was los ist. Statt gleich mit Erklärungen zu kommen, in die Opferrolle zu gehen, Schuldige zu suchen und utopische Lösungsvorstellungen zu entwickeln, analysiere ich die Situation, sammle Fakten und benenne das Problem. Ich rede nicht schön, was fragwürdig ist. Ich nehme es zur Kenntnis. Und ich entscheide: Was will und kann ich hier tun? Ich fokussiere auf Möglichkeiten, die ich an meinem Ort, in meiner Position, mit meinen Kompetenzen habe. Ich übernehme Initiative, thematisiere, was nicht gut läuft, benenne reale Probleme sachlich und entwickle zugleich Lösungsideen. Ich wage es, Probleme dorthin „zurückzulegen“, wo sie herkommen – so wie die Gemeindepräsidentin, von der oben die Rede war – im Wissen darum, dass ich nicht immer auf offene Ohren stoßen werde. Doch wenn ich das mir Mögliche unternehme statt die Faust im Sack zu machen, werde ich erfahren, dass oft mehr möglich ist als gedacht. Ich ernte Respekt – von meinem Umfeld und vor mir selbst. Und wenn ich zum Schluss komme – wie der Bauer, von dem oben erzählt wurde –, dass ich tatsächlich im Moment nichts an den Regeln und Vorgaben ändern kann, treffe ich bewusst den Entscheid, sie einzuhalten – mit einem Minimum an mentaler Energie und Zeit und ohne dass mein Selbstwert darunter leidet. Ich fokussiere auf meine Prioritäten und suche Freiräume, nehme mir etwa mal extra Zeit für einen Kunden, auch wenn das eigentlich nicht darf; die Erfahrung, dass es für beide befriedigend ist, gibt Energie. Auf diese Weise setze ich mich mit Beeinträchtigendem auseinander und behalte die Regie, auch wenn ich nicht alles ändern kann.

Wenn man es mit einschränkenden, sinnlosen Regeln und übermäßiger Bürokratie zu tun bekommt, liegt der Schlüssel, sich dadurch nicht Motivation und Lebensqualität rauben zu lassen, darin, den Wechsel zu vollziehen von einer Frustrations- in eine Motivationsspirale. Das ist eine Entscheidung. Wer den Mut dazu aufbringt, wird erfahren, dass etwas in Bewegung kommt. Nein, der Zeitgeist ändert dadurch nicht, der unfähige Chef wird dadurch nicht weggezaubert, der erhoffte Geldsegen stellt sich nicht gleich ein (ich habe manchmal den Eindruck, viele Menschen denken, Geld würde alles lösen…). Vielleicht fahre ich am Schluss fort wie der Bauer, von dem ich oben erzählte: Ich halte die unsinnigen Regeln weiter ein. Der Unterschied: Ich habe mich dazu entschieden. Ich bin kein Opfer mehr.

Ich wünsche Ihnen Wachheit im Umgang mit strukturellen und bürokratischen Unsinnigkeiten, den Mut, immer wieder entschlossen in die Motivationsspirale zu steigen und natürlich vor allem die Erfahrung, dass oft mehr möglich ist als gedacht. Jeder Mensch, der das macht und übt, ist ein Gewinn und trägt dazu bei, dass gesunder Menschenverstand und Eigenregie (wieder) gedeihen können in Zeiten, in denen sich viele in einer Frustrationsspirale verfangen.

Last but not least: Auch wenn in diesem Newsletter der Fokus auf Situationen am Arbeitsplatz liegt, so lässt sich das alles auch auf den privaten Bereich übertragen. Vielleicht wollen Sie in der kommenden Zeit einmal darauf achten, wo Sie sich überall an Regeln, Vorschriften und Bürokratie ärgern – und dann gleich erkunden: Wie kann ich hier in eine Motivationsspirale kommen? Ich verspreche Ihnen, dass das mit der Zeit fast so etwas wie ein Sport wird, der Freude macht, Selbstvertrauen und Zuversicht stärkt – selbst in Zeiten, in denen mancherorts Dinge in der Schieflage sind…

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Einen guten Umgang finden mit Regeln und Bürokratie heißt nichts Anderes als „Veränderung wagen“. Was dabei die Schlüsselfaktoren sind, beschreibe ich ausführlich in meinem Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“. Da diese Schlüsselfaktoren universal sind, lassen sie sich auf jede Situation übertragen – warum nicht gleich umsetzen in Bezug auf die Thematik dieses Newsletters?

 

 


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