Frei, zu fliegen

Grüezi – Guten Tag!

Was, wenn man mit klarem Kopf, entschlossen, freudig und motiviert das Leben in die Hand nimmt, sich für positive Entwicklung einsetzt, neue Schritte wagt – und erfährt, dass das soziale Umfeld bremst? Was tun in solchen Situationen? Darum geht es in diesem Newsletter.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Wenn Mut zum eigenen Weg durch das soziale Umfeld gebremst wird

In der Pause eines meiner Seminare spricht mich eine Frau an: Sie stehe kurz vor der Pensionierung, freue sich auf die neue Lebensphase, hätte viele Pläne und Ideen. Doch es gebe Stimmen im Umfeld wie „Du musst schauen, dass Du nicht in ein Loch fällst!“, „Was machst Du dann den ganzen Tag?“ Sie lässt sich durch solche Stimmen die Freude nehmen. Sie ist verunsichert… sieht sie Dinge zu rosa?

Eine andere Situation: Nach einer Lesung zu meinem Buch „Neuanfänge“ kommt ein Herr auf mich zu und sagt: „In meinem Team am Arbeitsplatz wird viel gejammert. Ich habe das satt. Ich habe Freude an der Arbeit. Ich bringe Ideen ein – doch meine Kollegen blocken alles ab. Wie soll ich damit umgehen?“

Eine dritte Situation: Eine Beratungskundin sagt mit erfrischendem Schwung in der Stimme, dass sie Karriere machen will. Sie liebt ihre Arbeit im Personalwesen. Ihr Traum: Personalchefin einer interessanten Firma zu werden. Doch sie zögert: In ihrem Umfeld sei „Karriere machen“ verpönt. Erfolg sei suspekt. Sie wage sich fast nicht, über ihre Träume und Pläne zu sprechen. Sie habe das Gefühl, als Streberin angesehen zu werden.

Es ist wichtig, zu wissen: Wer sein Leben in die Hand nimmt, gestaltet, eigenständig entscheidet und mutig Veränderung wagt, darf nicht damit rechnen, dass das Umfeld Beifall klatscht.

Reaktionen aus dem Umfeld sowie auch verinnerlichte Stimmen können verunsichern, zu einem beträchtlichen Stolperstein werden oder sogar davon abhalten, gut Begonnenes fortzusetzen.

Um klar zu sein: Ich habe es hier nicht von Situationen, in denen Menschen Luftschlösser bauen oder sich halsbrecherisch ins Abenteuer stürzen. Ich habe es nicht von Situationen, in denen das Umfeld berechtigte und aufrichtig interessierte Fragen stellt, etwa, wie man den Lebensunterhalt finanzieren werde, wenn man jetzt die Stelle ins Blaue hinein kündigt. Das kann es immer geben: Man ist begeistert, etwas Neues zu wagen – und übersieht dabei vielleicht Wichtiges. Da kann es hilfreich sein, wenn andere einen anregen, wichtige Aspekte nicht unter den Tisch zu wischen.

Ich habe es hier von Situationen, in denen man intuitiv weiß, dass man gut unterwegs ist – und konfrontiert wird mit Aussagen und Verhaltensweisen von Menschen, die bewusst oder unbewusst positive Entwicklung bremsen. Ich habe es von Situationen, in denen man Kurs nimmt auf einen „motivierenden Horizont“, wie ich dies nenne, den gewählten Weg kognitiv, emotional und praktisch überschaut, bejaht, sich der Konsequenzen bewusst und bereit ist, diese zu tragen. Und erfährt, dass Familienmitglieder, Nachbarn, Freunde oder auch gesellschaftlich verbreitete Anschauungen bzw. verinnerlichte Meinungen, was „gut und richtig“ ist, es erschweren, das innere Wissen aufrechtzuerhalten, gut unterwegs zu sein. Ich habe es von Einflüssen, die keinen Wert zufügen, sondern zum Bremsklotz werden.

Um frei zu sein für den eigenen Weg, ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, wie es kommen kann, dass ablehnend auf „Aufbrecher“ reagiert wird, wie ich dies nenne, auf Menschen, die ihr Leben selbstverantwortlich und motiviert gestalten, Positives bewirken wollen. Was häufig spielt:

  • Gruppendruck: Viele Menschen bewegen sich in sozialen Umfeldern, in denen ähnliche Werte und Normen gepflegt werden: Man macht Karriere oder gerade nicht. Man hat Kinder oder eben nicht. Man studiert oder lästert gegen „nichtsnutze Akademiker“. Man ist politisch links oder rechts. Man pflegt mit anderen Opferdenken, Jammern, Leiden, Klatsch über andere oder die Suche nach Schuld(igen). Wer „ausschert“, fällt zumindest auf.

„Aufbrecher“ bzw. Menschen, die anders denken und handeln als ihr Umfeld, werden schnell einmal wahrgenommen als:

  • Störenfried: Wer es wagt, eine Situation positiv zu beeinflussen – wie etwa der Herr, von dem ich eingangs erzählte, der in seinem Team konstruktive Ideen einbringt, statt ins kollektive Jammern einzustimmen –, durchbricht und stört ein Muster.
  • Konfrontation: Wer mutig Wichtiges in Angriff nimmt, kann andere unbeabsichtigt konfrontieren, erinnert sie möglicherweise an eigene „Baustellen“ im Leben bzw. an eigene Veränderungswünsche. Und wird damit zu einer Art wandelnder Projektionsfläche.
  • Bedrohung: Wer sich die Freiheit nimmt, sich am eigenen Kompass zu orientieren, wer sich für Lebensqualität, Erfolg und Glück einsetzt, strahlt Unabhängigkeit und Kraft aus. Das kann anderen Angst machen.

Das kann zu unangenehmen Erfahrungen führen, etwa:

  • Gehässigkeiten: „Der meint, etwas Besseres zu sein.“, „Du nervst mit Deinen Vorschlägen.“, „Sie hat sich wieder hohe Ziele gesetzt, mal schauen, ob sie das schafft.“
  • Psychologisieren: „Sie muss sich etwas beweisen.“, „Du hast zu hohe Ansprüche.“, „Pass auf, dass Du Dich nicht überforderst.“
  • Neid: „Wenn ich so viel Geld hätte, würde ich auch…“
  • Abwerten: „Ach, so viel hat er auch wieder nicht erreicht.“, „Sie ist jung, sie hat keine Ahnung, wie das Leben tickt.“
  • Entmutigen: „Was, Du willst Dich beruflich selbstständig machen? Hast Du Dir das gut überlegt? Das machen doch heute alle.“, „Du wirst schon noch auf den Boden der Realität kommen…“
  • Ausschluss aus der Gruppe wie das meine Großmutter erlebte: Aufgewachsen in einem streng katholischen Dorf war sie in der Welt herumgekommen und wollte aus Überzeugung zum reformierten Glauben wechseln. Nicht nur ihre Familie drohte mit Kontaktabbruch und Enterbung; auch Personen aus dem Dorf missbilligten ihr Vorhaben. Sie setzte ihre Entscheidung um. Danach war sie in Familie und Heimatdorf nicht mehr willkommen.

 

Frei, zu fliegen!

Je bewusster man sich ist, dass es diese Dinge gibt, desto eher kann man lernen, auf eine Weise damit umzugehen, hinter der man steht und die die eigene Entwicklung nicht gefährdet. Man wird frei, zu fliegen!

Das beinhaltet bzw. erfordert:

  • Klarheit über die eigenen Wünsche und Motive. Was ist mir wichtig? Inwiefern ermöglicht das, was ich hier tu, positive Entwicklung? Woran erkenne ich, dass es wirklich einfach mein Weg ist, der zu mir passt und hinter dem ich stehe?
  • Genau hinschauen, beobachten, was abläuft. Wenn Sie konfrontiert werden mit äußeren oder inneren Stimmen, die Sie dabei beeinträchtigen, zu tun, was Sie tun wollen: Beobachten Sie, was abläuft. Was genau sagt diese Person? Was läuft in mir ab? Was lässt mich unsicher werden?
  • Sich entscheiden. Stimmen aus dem Umfeld können in eine erhebliche Zerreißprobe führen wie bei der Beratungskundin, von der ich oben erzählte, die so gerne Karriere machen will, aber spürt, dass das nicht gut ankommt. Hier kann es hilfreich sein, zu explorieren: Wie wird sich die Situation voraussichtlich entwickeln, wenn ich meinem Wunsch treu bleibe? Was kann ich gewinnen? Was kann ich verlieren? Und umgekehrt: Wie wird sich die Situation entwickeln, wenn ich sozusagen dem „Frieden zuliebe“ auf Karriere verzichte? Was kann ich dann gewinnen bzw. verlieren? Ohne gleich Druck zu machen, sich für das eine oder andere zu entscheiden, schafft das Klarheit. Und wozu auch immer man sich entscheidet: Es ist in Ordnung. Es macht keinen Sinn, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, wenn man spürt, dass man einen Bruch mit dem Umfeld im Moment nicht verkraften würde. Zugleich ist auch nicht anzuraten, ein „Eisbär in der Wüste zu sein“, wie ich dies nenne. Das heißt, falsche Kompromisse einzugehen, um vom Umfeld „akzeptiert“ zu werden. Manchmal kann es notwendig sein, sich von einem Umfeld zu trennen, wenn darin positive Entwicklung nicht (mehr) möglich ist.
  • „Bremsklötze“ stehen lassen. Sie brauchen niemanden zu überzeugen, zu überreden oder zu missionieren. Es ist eine Falle, sich zu verstricken im Tun und Lassen des sozialen Umfeldes. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das, was Sie tun und erreichen wollen.
  • Sich mit Unterstützendem umgeben. Alles geht einfacher, wenn man ermutigt, unterstützt wird. Finden Sie Menschen, Orte, Bücher, Aktivitäten, die Ihnen Energie geben, Sie inspirieren, ermutigen und ermöglichen, dass Sie in Ihrem Element sind und Ihren Weg auf gute Weise fortsetzen können.
  • Fliegen! Haben Sie den Mut, Schritte umzusetzen, hinter denen Sie voll und ganz stehen, die Ihnen wichtig sind, die zu Ihnen passen und die positive Entwicklung ermöglichen. Haben Sie den Mut, Möglichkeiten zu sehen, Chancen zu packen, Neues zu wagen, glücklich, erfolgreich, gesund, fröhlich zu sein, Ihr Leben zu gestalten und zu genießen. Jeder Mensch, der das tut, ist ein Gewinn! Schauen Sie dabei, dass Sie „Flughöhe“ behalten, denn auch unterwegs kann es immer wieder Momente, Begegnungen, Bemerkungen geben, die verunsichern, klein machen, entmutigen. Seien Sie achtsam. Und genießen Sie den Flug! Sie werden unterwegs andere „freie Vögel“ treffen – die es ebenfalls gewagt haben, aus der Macht der Masse auszubrechen, die sich nicht einschüchtern ließen und die auch Mut und Bereitschaft aufbrachten, notfalls auf soziale Anerkennung der Gruppe zu verzichten. Wer dazu bereit ist, ist frei.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Geschichte: Ein Bauer fand auf dem Feld ein großes Ei. Er fand es schön. Und er legte es zu den Eiern in seinem Hühnerstall. Eines Tages schlüpfte aus dem Ei ein Vogel. Ja, er war anders als die Hühner. Er wurde immer grösser. Es war ein Kondor (eine der größten Vogelarten, die es gibt). Der Kondor wuchs mit den anderen Küken auf und war völlig überzeugt, dass das seine Geschwister waren. Er verhielt sich wie die Hühner und kam nicht auf die Idee, fliegen zu wollen, selbst als er schon längst flügge war. Die Hühner sahen sehr wohl, dass er „anders“ war. Sie fanden den Kondor hässlich und gaben ihm das auch zu spüren. Eines Tages machten die Hühner einen Ausflug ans Meer. Der Kondor war toleriert, mitzugehen. Sie kamen zu einer Klippe. Sie schickten den Kondor vor: „Geh du mal schauen, ob man hier weiterkommt“. Der Kondor fürchtete sich, er war noch nie von einer Klippe heruntergestiegen. Doch er wollte so gerne akzeptiert werden von den Hühnern. Vorsichtig und ängstlich zog er los. Auf einem Vorsprung brach der Fels unter seinem Gewicht ab. Instinktiv öffnete er seine Flügel – und: er konnte fliegen! Er entdeckte, wie er seine Flügel gebrauchen, dass er damit in die Höhe und wieder in die Tiefe gelangen konnte. Er spürte Glück. Er hatte sich selbst gefunden. Und er kehrte nie mehr auf den Bauernhof zurück, wo die Hühner ihn so schlecht behandelt hatten. (Frei nacherzählt nach Jens-Uwe Martens, Praxis der Selbstmotivierung, Kohlhammer 2012.)

Nun, ich hoffe, dass Sie nicht wie ein Kondor unter Hühnern leben. Und ich wünsche, dass Sie nicht warten mit Fliegen, bis Sie dazu gezwungen werden, sondern dass Sie sich selbst dazu entscheiden und den Mut dazu aufbringen. Ganz im Sinne des persischsprachigen Mystikers und Dichters Rumi (1207-1273):

„Du bist geboren mit Potential.
Du bist geboren mit Güte und Vertrauen.
Du bist geboren mit Idealen und Träumen.
Du bist geboren mit Größe.
Du bist geboren mit Flügeln.
Du bist nicht gemeint, zu kriechen; also unterlass dies.
Du hast Flügel. Lern, sie zu benützen und flieg.“

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Wer Veränderung, neue Schritte wagt, bekommt es immer mit Reaktionen im Umfeld zu tun – wohlgemeinten, aufbauenden und weniger wohlgemeinten. Was generell essenziell ist im Umgang mit Veränderung gilt auch für den Umgang mit Reaktionen aus dem Umfeld. Daher kann mein Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“ auch hier ein nützlicher Begleiter sein.

 

 


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