Freiräume wahrnehmen und nutzen

Grüezi – Guten Tag!

„Ich möchte an dieser Situation ja schon gerne etwas ändern – aber mir sind die Hände gebunden; ich habe nicht die nötige Befugnis, das Geld, die Macht, die richtigen Beziehungen, den Spielraum…“ Mit diesem Newsletter möchte ich ermutigen, nicht unüberprüft auf solche Sätze zurückzugreifen. Oft gibt es mehr Freiräume und Möglichkeiten als man denkt. Doch: Man muss diese wahrnehmen und nutzen (wollen).

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Von „Ich kann hier nichts machen“…

Regelmäßig höre ich Menschen, die sich an Situationen stören, daran leiden, sich Dinge anders wünschen. Und sagen: „Ich kann hier nichts machen.“

So seufzt eine Führungsperson: „Diese Reorganisation ist nicht durchdacht, mein Team lässt hängen und ich verstehe dies nur zu gut; doch mir sind die Hände gebunden, ich muss umsetzen, was von oben bestimmt ist.“ Dann wieder höre ich Professionals, etwa im Gesundheitswesen, die klagen, dass sie in Administration ersticken und immer weniger Zeit haben für die Arbeit, wozu sie ausgebildet sind und die ihnen Freude macht. Oder letzthin unterhielt ich mich in der Pause eines meiner Seminare mit einem Laufbahnberater, der im Bereich Arbeitsintegration tätig ist. Er erzählte, dass sich ein ganzer Tross von Professionals um eine Person kümmere, wobei jeder nur einen ganz bestimmten Teil der Begleitungsarbeit übernehmen dürfe. Er selbst sei zuständig für psychologische Tests. Die Begleitung bei der Stellensuche übernehme ein Kollege. Wenn er Ideen hätte, was für einen Klienten eine gute berufliche Option sein könnte, seien diese nicht erwünscht. Begreiflicherweise ist es nicht motivierend, so zu arbeiten. Viele fühlen sich am Arbeitsplatz ähnlich eingeschränkt. Doch auch im Privatbereich höre ich Menschen, die sich an Situationen stören und der Meinung sind, daran nichts ändern zu können. So gab es etwa bei uns im Quartier eine unschöne Geschichte mit gesetzlichen Änderungen zur Nutzung öffentlichen Raums. Viele formulierten Unmut, fühlten sich von Politikern übergangen. Doch: Was kann man schon machen?

Oft mehr als man denkt.

 

… zur Wahrnehmung und Nutzung von Frei- und Spielräumen

Ohne naiv oder größenwahnsinnig zu sein – ich behaupte: Es gibt oft mehr Möglichkeiten als man denkt. Doch man muss sie suchen, erkennen und nutzen (wollen). Dies beginnt damit, dass man sich nicht einredet, an unbefriedigenden Umständen nichts ändern zu können. Sondern überprüft, ob dies wirklich der Fall ist. Ja, es gibt Umstände, an denen sich auf den ersten Blick wenig ändern lässt: Ich kann den Chef nicht austauschen. Ich kann vorgeschriebene Arbeitsabläufe nicht boykottieren. Ich kann den aggressiven Nachbarn nicht in die Wüste schicken. Doch ich kann immer schauen: Wie kann ich mich hier für Verbesserung einsetzen? Welche Möglichkeiten habe ich? An dem Ort und in der Position, in der ich gerade bin und mit den Mitteln, die ich habe.

Initiative übernehmen, Ideen entwickeln und Möglichkeiten ausloten kostet nichts, ist nicht abhängig von Position, den richtigen Beziehungen, Macht usw. Es ist letztlich ein Entscheid: Störe ich mich an dieser Situation? Und ist mir die Angelegenheit wichtig genug, um aktiv zu werden?

Wer dann Möglichkeiten erkundet, kann nur gewinnen. Auch wenn man am Schluss vielleicht nicht alles erreicht, was man sich wünscht – man wird erfahren, dass es positive Gefühle aktiviert, sich einzusetzen, das Mögliche zu tun. Man wird erfahren, dass etwas in Bewegung kommt und oft erstaunlich viel bewirkt werden kann. Man braucht kein Mahatma Gandhi zu sein – doch das Prinzip ist das gleiche: Sehen, was los ist und sich ruhig und konstant für Verbesserung einsetzen. Unabhängig vom Resultat wird Unzufriedenheit reduziert – weil man nicht die Faust im Sack macht, klein beigibt oder resigniert, sondern tut, was man tun kann.

Was kann man denn tun?

Man kann ganz systematisch vorgehen – egal ob man Führungskraft, Professional, Mitglied eines Vereins, Mann oder Frau, alt oder jung ist. Das beinhaltet:

  • Alles beginnt mit „Genau hinschauen“: Was ist genau die Ausgangslage? Was stört mich? Wie äußert sich dies? Wie ist es zu dieser Situation gekommen? Wie bin ich darin involviert? Welche anderen Personen und welche Fakten spielen eine Rolle?
  • Am besten aktiv werden kann man, wenn man ein möglichst plastisches Bild davon hat, was man erreichen will – wenn man einen „motivierenden Horizont“ hat, wie ich dies nenne, eine Vorstellung, wie eine Situation aussieht, bei der man sagt „Jetzt stehe ich am Morgen (wieder) gerne auf“ oder „Jetzt haben wir diese Situation ordentlich verbessert, können dahinter stehen und haben wieder ein smile im Gesicht.“ Erkunden Sie also z.B.: Wie müsste diese Reorganisation verlaufen, damit ich als Führungskraft meinen Mitarbeitenden wieder mit gutem Gefühl in die Augen schauen kann, die Kündigungsquote abnimmt und das Team gut arbeiten kann? Oder: Wie sähe meine Arbeitssituation aus, wenn ich die Dinge, die mich stören, aus dem Weg geräumt bzw. einen Umgang damit gefunden hätte, der mir ermöglicht, motiviert zu arbeiten? Oder: Was wäre für unsere Nachbarschaft eine optimale Lösung in dieser Gesetzesänderung, die die Gemeinde stillschweigend beschlossen hat? Was ist uns wichtig? Was wollen wir erreichen?
  • Fokus auf Möglichkeiten und Ideen sammeln: Wie könnte ich meine Arbeit als Professional in der Pflege organisieren, sodass die „Musts“ in Administration usw. effizient erledigt werden und ich zugleich mehr Zeit habe für die Patienten? Wo gibt es Freiräume – und seien diese noch so klein? Wie kann ich im Tagesverlauf gezielt Dinge „einbauen“, die mir Freude machen und Energie geben, auch das zu machen, was gemacht werden muss? Oder auch: Wie können wir als Familie schöne Ferien verbringen – auch wenn das Budget dieses Jahr knapp ist? Wer sich auf die Pirsch begibt für gute Lösungen, aktiviert Kreativität und wird mit Ideen belohnt.
  • Ins Handeln kommen: Man bewegt Dinge, indem man sich selbst bewegt. Also: Was kann ich hier und jetzt tun? Als Führungsperson kann ich etwa mein Team zusammentrommeln, gemeinsam „genau hinschauen“ und Ideen sammeln, wie die Reorganisation besser umgesetzt werden kann, wo die realen Probleme liegen und was gute, realisierbare Lösungen sind. Ich kann zu meinem Vorgesetzten gehen und klar und sachlich kommunizieren, wo Dinge schief laufen und wie sich dies auf Team und Arbeit auswirkt. Ohne zu meckern oder das viel gebrauchte „Wir brauchen mehr… (Geld, Personal, Zeit usw.)“ zu bemühen, kann ich Lösungsvorschläge auf den Tisch legen. Mit solchen Schritten ernte ich Respekt – vielleicht nicht von jedem Vorgesetzten, sicherlich aber von meinem Team und vor mir selbst. Oder: Als Professional kann ich mich loyal und zugleich autonom verhalten, meinen gesunden Verstand einsetzen und auch mal den Mut haben, etwas nicht oder anders zu machen – wenn ich überzeugt bin, dass das sinnvoll und zu verantworten ist. Mein Mann hatte letzthin einen Knochenbruch im Fuß; der junge Assistenzarzt verschrieb Gips bis zum Knie und Spritzen wegen Thrombosegefahr. Der erfahrene Gipsmeister erfasste die Situation und sagte zu meinem Mann: „Das machen wir hier nicht. Wenn Sie mir versprechen, sich vernünftig zu verhalten mit Ihrem Fuß, dann mache ich Ihnen jetzt einen einfachen Laufgips.“ Oder: In der Geschichte in unserer Nachbarschaft saßen ein paar Personen zusammen, bedachten eine Strategie, sammelten Unterschriften und bewirkten mit klugem Vorgehen nicht nur, dass die Gemeinde zumindest teilweise von den vorgesehenen Gesetzesänderungen absehen musste, sondern auch, dass der Zusammenhalt im Quartier stärker wurde.
  • Der Mut, Situationen, die unbefriedigend sind, anzupacken, führt nicht nur oft zu erstaunlichen Resultaten, sondern stärkt Selbstachtung und Vertrauen. Vertrauen, dass man den Gang der Dinge beeinflussen kann. Schon kleine Schritte können etwas in Bewegung bringen, ermutigen und motivieren. Und sind beste Medizin gegen das weit verbreitete Opfer- und Mangeldenken und die damit einhergehende Unzufriedenheit. Menschen, die Mut und manchmal auch Zivilcourage aufbringen, Ideen zu entwickeln, Verantwortung und Initiative zu übernehmen und Schritte zu wagen, sind eine Wohltat. Und ermutigen andere, es ebenso zu machen.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen viele guten Ideen, Mut und Erfolgserlebnisse im Umgang mit Situationen, die Sie sich anders wünschen als sie sind.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Eine Situation anpacken, die einen stört, nicht klein beigeben mit „Ich kann hier eh nichts machen“, heißt nichts anderes, als den „Veränderungskreis“ © zu durchlaufen bzw. systematisch mit meinem Konzept zu den drei Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung an die Arbeit zu gehen. Dieses Konzept habe ich ausführlich beschrieben im Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“.

 


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