„Ich bin jetzt Mitte fünfzig…“

Grüezi – Guten Tag!

„In meinem Alter ist das unmöglich“, „Mit 50 stellt mich keiner mehr an“, „Ich bekomme nur Absagen – sicher wegen dem Alter!“, „Ach, ich werde eben älter“… Sie kennen sicher auch solche Sätze. In diesem Newsletter geht es darum, solche Sätze nicht zur Blockade werden zu lassen.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

„Ich bin jetzt Mitte fünfzig…“

Kürzlich wurde ich von einer Frau für ein Coaching kontaktiert. Sie muss sich nach einer neuen Arbeitsstelle umsehen. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Beratungsprofessional im Bereich Arbeitsintegration. In diesem Bereich laufen Arbeitsverträge oft zeitlich befristet. Ihr Vertrag konnte nicht verlängert werden. Keine unübliche Situation im gegenwärtigen Arbeitsmarkt.

Zu Beginn unseres Gesprächs sagt die Frau: „Ich bin jetzt Mitte fünfzig. Jetzt muss ich Weichen stellen. Endgültig. Zum letzten Mal.“ Vielleicht geht es Ihnen beim Lesen wie mir im Gespräch: Sie spüren Druck.

In aller Ruhe frage ich sie, an welche Möglichkeiten sie denkt, was ihre Überlegungen sind, was und wo sie am liebsten arbeiten würde, was ihr an ihrer Arbeit gefällt. Es kommt eine völlig andere Energie ins Gespräch. Sie beginnt zu sprudeln: Sie hat ihre Arbeit gern. Das ist schon mal speziell: Menschen bei der Stellensuche zu begleiten ist kein Pappenstiel. Wir explorieren wie sie arbeitet. Mit Freude. Professionell. Mit der Fähigkeit, sich auf verschiedenste Menschen und Situationen einzulassen. Mit Erfolg; ihre Kunden gehen oft nicht nur mit einem big smile aus den Beratungen, sondern machen auch Nägel mit Köpfen und erzielen Erfolge. Und bedanken sich bei ihr. Hier spricht jemand, der im Element ist.

Auch der Blick nach vorne zeigt, dass sie ihre Stärken, Interessen sowie den Arbeitsmarkt gut kennt. Sie ist offen für Neues, flexibel, will am liebsten wieder in diesem Bereich arbeiten.

Was ist denn das Problem? Dieser Satz. „Mit Mitte fünfzig muss ich jetzt…“ Sie hat angefangen, auf diesen Satz zu fokussieren. Nicht erstaunlich, dass sich so keine guten Ideen einstellen wollten, was denn die „gute“ Weichenstellung sein könnte. Auch nicht erstaunlich, dass ihre Stimmung nicht besser wurde. Der Fokus auf die „Mitte fünfzig“ ließ aus dem Blick geraten, was alles vorhanden ist. Mit diesem Fokus koppelte sie sich von ihrer natürlichen Neugierde, Begeisterung und Kompetenz ab. Und schuf damit ungewollt eine Situation, die die Potenz hatte, zum realen Stolperstein zu werden: Eine innere Blockade.

Es kam mir vor, als hätte ich ihr die Erlaubnis gegeben, sich von diesem Satz zu lösen.

Ich ermunterte sie, sich wieder ihren Ressourcen zuzuwenden. Ihren – ja schon vorhandenen – „motivierenden Horizont“ zu beleben und zu pflegen. Wir besprachen, wie sie konkret vorgehen konnte. Sie nahm den „Ball“ auf und fand, so könne sie weiter. Sie wirkte befreit.

Jetzt denken Sie vielleicht: „Aber das Alter ist doch tatsächlich ein Problem, gerade auf dem Arbeitsmarkt!“

Jein.

Ja, viele Arbeitgeber stürzen sich nicht auf 50+er. Das Thema wird zünftig breitgewalzt. Prächtiges Biotop für Moral, Opfer-/Täterdenken. Geholfen ist damit niemandem.

Umso wichtiger, sich nicht selbst zu blockieren mit der Einstellung, über fünfzig sei es gelaufen. Viele Menschen machen das. Dann wird ein reales Hindernis schnell einmal zum Alibi, das für alles herhalten muss. So sagt etwa ein Informatiker, Ende fünfzig, dessen Stelle gestrichen wurde: „Ich schreibe Tag und Nacht Bewerbungen. Immer Absagen. Es ist wegen dem Alter.“ Wenn ich diesem Mann zuhöre, bezweifle ich das. Ich höre nicht, was ihn interessiert, was er gewinnen, wofür er sich einsetzen möchte. Nur immer wieder die Litanei vom Alter. Er ist nicht allein damit.

Es ist wichtig, zu realisieren: Worauf wir unsere Aufmerksamkeit fokussieren, dahin geht unsere Energie. In der Zeit, in der ich mich damit beschäftige, dass ich in meinem Alter keine Stelle mehr finden werde, kann ich mich nicht damit beschäftigen, wie ich mich auf diese objektive Schwierigkeit einstellen kann. Ich bin entkoppelt von Ideen, Kreativität, Zugang zu meinen Ressourcen. Das ist gehirnphysiologisch erklärbar. Wenn ich mental immer und immer wieder um Gedanken drehe wie „Mit fünfzig finde ich keine Stelle mehr“, dann löst das eine Stressreaktion aus, was entsprechende neurologische, chemische, hormonelle, biologische Prozesse bewirkt. Diese Gedanken bewirken entsprechende Gefühle, etwa Angst, Zukunftssorgen, Versagergefühle, Verunsicherung, Wut, das Gefühl, Opfer von Strukturen zu sein. In diesem Zustand sind wir buchstäblich neurobiologisch nicht in der Lage, zu tun, was gerade jetzt wichtig wäre: Ideen entwickeln, Zugang zu unseren Ressourcen haben, so gelöst wie möglich bleiben.

Das ist vielleicht der schwierigste Punkt: Dies zu verstehen. Und hier anzusetzen. Nicht noch mehr zu fokussieren auf das Alter. Sondern die Aufmerksamkeit bewusst auf alles zu lenken, was jetzt hilft. Die Ironie dabei: Jemand, der hier seine Aufmerksamkeit und Energie investiert, kommt eher auf Ideen, hat andere Gedanken, andere Gefühle. Und strahlt das auch aus. Und gerade das ist essenziell, um z.B. eine neue Stelle zu finden.

Ich sage nicht, dass das einfach ist. Es gibt Situationen, da wird man konfrontiert mit sich selbst. Anders als die Frau, von der ich oben erzählt habe, muss man vielleicht feststellen, dass man sich nie groß gefragt hat, was man gerne macht. Dass man sich vielleicht das ganze Leben durchgebissen hat. Vielleicht wird man vom Leben auch schmerzhaft überrascht. So wie ein Herr, 58, den ich im Rahmen meiner Tätigkeit in der Arbeitsintegration bei der Stellensuche begleitete. Er hatte 30 Jahre in der Logistik einer Firma gearbeitet. Sich identifiziert mit der Firma. Im Rahmen einer Reorganisation wurde seine Stelle gestrichen. Begreiflicherweise ein Schock. Doch dieser Mann brachte Bereitschaft und Mut auf, einerseits die verständlichen negativen Gefühle zuzulassen – es geht nicht darum, etwas schönzureden, was nicht schön ist –, andererseits sich selbst an der Hand zu nehmen. Es fiel ihm sehr schwer. Er musste viel Neues lernen. Er ließ sich darauf ein. Damit beeindruckte er mich. So sehr, dass ich den Patron einer Firma bat, mit diesem Herrn ein Vorstellungsgespräch zu führen. Damit dieser Sicherheit gewinnen und ein Feedback erhalten konnte. Das Resultat: Der 58jährige Herr wurde in dieser Firma angestellt. Das wäre nicht passiert, wenn er vermittelt hätte „Ich bin Opfer“, „Mich will keiner mehr“. Ich sage immer: Unsere Aufgabe ist es, die guten Schritte in die richtige Richtung zu machen. Den Rest besorgt das Leben. Oft auf überraschende Weise. Wenn man offen ist dafür.

Alter ist in erster Linie keine Frage einer Zahl. Sondern von Mentalität.

 

Anregungen zum Fokuswechsel

Wenn Sie jetzt nicht gleich abhängen im Sinne von „die hat leicht reden“, dann möchte ich Sie mit ein paar Anregungen ermutigen, sich von Sätzen wie „In meinem Alter ist es gelaufen“ oder „Alles wegen dem Alter“ zu lösen. Sie können viel gewinnen.

  • Solche Sätze erkennen. Viele Menschen greifen auf die immer wieder gleichen Sätze zurück. Nicht nur, wenn es ums Alter geht. Oft haben sie sich so daran gewöhnt, dass sie sich dessen gar nicht mehr bewusst sind. Kommt dazu, dass die Umgebung häufig darauf einstimmt: „Ja, ja, das Alter…“ Das ist einfacher als „Ja, mit 50+ eine Stelle finden, ist kein Kinderspiel – komm, wir sammeln einmal zusammen Ideen, wie Du vorgehen kannst“. Also: Gibt es Sätze, auf die Sie immer wieder zurückgreifen und die dazu führen, dass Ihre Stimmung beeinträchtigt wird und sich absolut keine Ideen, Möglichkeiten und Lösungen einstellen wollen? Wenn ja, welcher Satz ist das?
  • Diese Sätze explorieren. Damit Sie mich richtig verstehen: Ich bin allergisch auf angestrengt positives Denken. Es geht nicht darum, schön Wetter zu spielen wenn man in einen Sturm geraten ist. Erkunden Sie: mit welchen Gedanken, Annahmen ist dieser Satz verbunden? Wie wirkt er sich aus? Indem Sie genau hinschauen, schalten Sie den „Autopiloten“ ab. Die Basis, um Regie über Ihr Denken und Handeln zu übernehmen.
  • Entscheiden: Will ich es wagen, mich von diesem Satz zu lösen? Diese Entscheidung kann Ihnen niemand abnehmen.
  • Fokus auf Möglichkeiten, Wünschenswertes, Ressourcen: Setzen Sie sich damit auseinander, was Sie sich wünschen und welche Möglichkeiten Sie haben, in diese Richtung Schritte zu unternehmen. Manchmal sind die Lösungen näher als man denkt. So erzählte mir eine Physiotherapeutin von einer Dame weit in den 80ern, die zu ihr in die Therapie kam und klagte, sie könne nicht mehr von einem Stuhl aufstehen. Und gleich auch die Erklärung mitlieferte: „Das ist wegen dem Alter“. Die Physiotherapeutin erklärte ihr, dass das nicht wegen dem Alter war. Sondern weil sie nicht die richtigen Bewegungen machte. Sie zeigte der Dame, wie sie mit der richtigen Verlagerung des Körpergewichts aufstehen konnte. Und siehe da: Die Dame konnte in kurzer Zeit wieder aufstehen. Das hat ihr nicht nur neue Freiheiten geschenkt, sondern (hoffentlich) auch die Erkenntnis, dass nicht alles „wegen dem Alter“ ist.
  • Mut aufbauen zum eigenen Weg: Stimmen Sie nicht in gängige Denkmuster ein. Fokussieren Sie auf Ihren eigenen Weg: Wie soll dieser aussehen? Wie möchten Sie am Morgen aufstehen? Was können Sie dafür tun? Was ist ein erster kleiner Schritt? Eines meiner Lieblingszitate lautet „Es ist nie zu spät, so zu sein, wie man es gerne gewesen wäre“. Es stammt von George Eliot, männliches Pseudonym der englischen Schriftstellerin Mary Ann Evans (1819-1880), die sich auf diese Weise ihrem Zeitgeist entzog, wonach es sich für Frauen nicht gezieme, schriftstellerisch tätig zu sein. Finden Sie den Mut eines Bekannten von mir, der als Bankberater tätig war. Über eine Reorganisation war „seine“ Bank mit einer anderen fusioniert. Er ärgerte sich am neuen Ort über endlose Bürokratie, schlechte Führung. Er war 62. Statt zu resignieren sagte er sich „Ich will mein Berufsleben nicht so abschließen.“ Er begann, die Fühler auszustrecken, sein Netzwerk zu aktivieren. Er fand eine Stelle bei einer kleinen Privatbank. Dort hat er die letzten Jahre bis zur Pensionierung mit viel Freude gearbeitet. Er hatte nicht gedacht „Ich bin zu alt“. Er hatte sich an seiner Freude am Beruf orientiert.

Ich wünsche Ihnen viel Mut, den „Schalter“ umzustellen von solchen Sätzen weg hin zu Ihrem motivierenden Horizont. Und natürlich wünsche ich Ihnen noch mehr, dass auch Sie erfahren, dass das Alter dann plötzlich in den Hintergrund rückt. Oder was auch immer dieser Satz beinhaltete, der Sie von Ihrer eigenen Lebendigkeit abgetrennt hat.

P.S.: Ich habe ein paar Tage nach der Veröffentlichung dieses Newsletters erfahren, dass die Frau, von der ich eingangs erzählt habe, eine Stelle gefunden hat – wie gewünscht wieder im Bereich Arbeitsintegration und mit Führungsaufgaben. Sie schreibt mir: „Ich habe ein sehr gutes Gefühl.“ Offenbar hat sie den Impuls unseres Gesprächs umgesetzt und statt auf den Satz „Ich bin jetzt Mitte fünfzig“ auf ihren „motivierenden Horizont“ fokussiert.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Es gibt viele Varianten solcher Sätze. Nicht nur in Bezug auf „Alter“. Wie man sich von ihnen löst – ohne reale Probleme auszublenden – darüber mehr in meinem Buch „Die Kunst, über den eigenen Schatten zu springen oder wie Sie Schwierigkeiten bei Neuanfängen meistern“. Dort vor allem Kapitel 5 „Das geht nicht!“ – Die „Geht nicht“-Falle verlassen. Oder Kapitel 3 „Das Leben ist doch kein Wunschkonzert!“ – Lebensorientierungen, die Ausrichtung auf Erfolg verhindern, ändern. Schließlich – wenn es darum geht, reale Schwierigkeiten und Durststrecken in Veränderungssituationen zu meistern – Kapitel 8 „Wo ist hier das Ende des Tunnels?!“ – Was weiterführt, wenn Erfolg auf sich warten lässt.

 

 


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