Grüezi – Guten Tag!
Das kann es immer geben: Man schlägt mit gutem Gefühl einen Weg ein. Unterwegs zeigt sich, dass gut Begonnenes nicht (mehr) gut ist. Stellt sich die Frage: Weitermachen? Oder den Mut aufbringen, Weichen neu zu stellen? Mehr dazu in diesem Newsletter.
Viel Anregendes wünscht Ihnen
Inhalte
- Der verheissungsvolle Karriereschritt
- Wenn gut Begonnenes nicht (mehr) gut ist
- Mutiger Schritt – oder Weglaufen?
- Mut, gut Begonnenes abzubrechen: Anregungen zur Klärung, ob das eine gute Idee ist
- Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…
Der verheissungsvolle Karriereschritt
In der letzten Newsletter-Ausgabe ging es um den Mut, einen auf der Hand liegenden Schritt nicht zu tun. In dieser Ausgabe geht es um den Mut, gut Begonnenes abzubrechen, wenn sich zeigt, dass es nicht (mehr) gut ist.
Wie sich dies äußern kann, veranschaulicht folgendes Beispiel.
Max, ein sehr intelligenter, ambitionierter junger Arzt, hat das Glück, im Team eines renommierten Forschers angestellt zu werden, um im Rahmen der Forschungstätigkeit der Organisation seine Doktorarbeit zu machen. Alles sieht nach fulminantem Start einer erfolgreichen Karriere aus. Motiviert und zugleich mit Leichtigkeit hatte er zwei Studien gleichzeitig mit Bestnoten abgeschlossen. Er liebt die Forschung. Und zugleich auch die Arbeit mit Menschen. Eine schöne Kombination: Gescheit, ambitioniert und zugleich fröhlich und empathisch im Umgang mit Menschen. Sein Ziel ist es, im Fachgebiet dieses Forschers zu promovieren. Viele bewerben sich um einen der begehrten Plätze. Er erhält die Zusage. Und freut sich. Alles scheint perfekt.
Nach einem Jahr sieht die Situation anders aus: Die Atmosphäre im Team ist toxisch. Der renommierte Leiter des Instituts ist nicht interessiert an den Mitarbeitenden. Sie sind sich selbst überlassen. Statt an der Doktorarbeit zu arbeiten, machen die Mitarbeitenden Überstunden für ganz anderes. Sie arbeiten an Wochenenden und im Urlaub an ihren Projekten. Es herrscht eine Angstkultur – niemand traut sich, das Problem anzusprechen. Max sieht, dass seine Kollegen übermäßig lang haben, um ihre Doktorarbeit abzuschließen – und dann haben sie so genug, dass sie nicht mehr in diesem Fachbereich arbeiten wollen. Er will das nicht. Zugleich ist er im Konflikt: Auf dem Lebenslauf würde es sich so gut machen. Es war so gut eingefädelt. Wird seine Karriere zerstört, wenn er Probleme anspricht und kündigt? Er hat belastende Monate, versucht, abzuwägen, Klarheit zu gewinnen, zu einer Entscheidung zu kommen. Er entscheidet sich, zu kündigen. Seine Kollegen bewundern ihn: „Wenn wir nicht schon so weit wären in diesem Prozess, würden wir das am liebsten auch tun.“ Zugleich macht er keine Freudensprünge. Was jetzt? Er beschließt, eine Pause einzulegen mit dem Doktorats-Projekt und sich auf eine Stelle als Arzt in einer Klinik zu bewerben. Nur: Wie soll er seinen Abgang erklären? Wie werden sie reagieren? Im Vorstellungsgespräch erklärt er kurz und sachlich seine Entscheidung. Ohne anzuklagen. Er wird noch während dem Vorstellungsgespräch angestellt. Offenbar hat er beeindruckt mit seiner schlichten Klarheit und dem Mut zu diesem Schritt. Auch wenn er die Sache bedauert, spürt er, dass ihn sein Vorgehen auch stark macht. Er macht den Effort, am alten Arbeitsplatz das Problem auf den Tisch zu bringen. Er will seinen Beitrag leisten, dass sich die Situation verändern kann – auch wenn er selbst nicht mehr davon profitieren wird. Eine Aufsichtsbehörde schaltet sich ein, sie nimmt die Sache ernst. Max genießt einen freien Monat. Nach all dem Stress, der sich auch in körperlichen Symptomen bemerkbar gemacht hatte, endlich Ent-Spannung. Inzwischen hat er mit Freude seine Arbeit als Arzt aufgenommen. Noch lässt er offen, ob er doch noch doktoriert. Ich bin sehr zuversichtlich, dass er eine sehr schöne Karriere machen wird. Diese Erfahrung wird dabei zusätzliche Ressource sein.
Wenn gut Begonnenes nicht (mehr) gut ist
Vielleicht denken Sie jetzt an andere Situationen, in denen gut Begonnenes nicht (mehr) gut ist und sich die Frage stellt: Weitermachen oder abbrechen? Da ist etwa die Partnerschaft, die eine andere geworden ist als die, die voller Glück begann. Die Therapie für eine Krankheit, die so vielversprechend war und jetzt mit Nebenwirkungen konfrontiert. Der mutige Neuanfang an einem anderen Ort, der zum Albtraum wird – so wie bei Claudia Heuermann im Podcast, von dem ich in der Newsletter-Ausgabe diesen Januar erzählte. Das Quartier oder Land, das immer so viel Lebensqualität bot und in dem sich jetzt die Stimmung auf ungute Art ändert.
Das kann es immer geben. „Everything is impermanent“ („alles ist unbeständig“) ist eine wichtige Anschauung im Buddhismus – weit mehr als eine oberflächliche Floskel. Dinge, Situationen, Menschen verändern – nicht immer zum Guten bzw. nicht immer so, wie man es sich gewünscht hätte. Es kann schmerzhaft sein, dies zu realisieren, zu erfahren, es sich einzugestehen. Es kann aber auch befreiend sein, wenn man die Tiefe dieser Anschauung versteht: Auch Gutes kann sich verändern. Punkt. Die Kunst ist es, sich dann die Frage zu stellen: Was jetzt? Und Antworten zu finden, die passen.
Mutiger Schritt – oder Weglaufen?
Die Entscheidung, die Max getroffen hat, war schwer. Ähnliches werden Sie selbst in vergleichbaren Situationen erfahren haben:
Geht es hier darum, durchzuhalten, dranzubleiben – wäre ein Abbruch ein Weglaufen? Sind damit nicht auch Risiken verbunden? Kommt es vielleicht am Ende doch noch gut? Bei Max etwa: Was, wenn diese Entscheidung seine weitere Karriere beeinträchtigen würde?
Oder geht es darum, den Mut aufzubringen, etwas, was gut begonnen hat, abzubrechen? Geht es darum, aufgrund gemachter Erfahrungen und gewichtiger Gründe dem inneren Kompass zu trauen und die Weichen neu zu stellen – den Sprung ins Ungewisse zu wagen?
Am Schluss ist es immer ein Sprung. Es gibt keine Risikogarantie. Aber es gibt einige Schritte und Überlegungen, die helfen, weder in eine Entscheidungsblockade zu geraten – „soll ich, soll ich nicht?“ –, noch kopflos zu flüchten, noch unglücklich zu werden, entweder, weil man den Mut zur Kurskorrektur nicht aufbringt und in einer unbefriedigenden Situation verharrt oder weil man zu schnell den Bettel hinschmeißt und vielleicht ernüchtert feststellt, dass man wieder in ähnliche Situationen gerät.
Mut, gut Begonnenes abzubrechen: Anregungen zur Klärung, ob das eine gute Idee ist
- Innehalten und genau hinschauen: Was ist hier los? Vielleicht denken Sie jetzt „Ach, jetzt kommt sie wieder mit ‚genau hinschauen‘“. Richtig. Denn es ist unerlässlich. Und obwohl es so banal klingt, wird es doch häufig nicht gemacht. Viele würden in einer Situation wie der von Max jammern, auf bessere Zeiten hoffen oder sich erschöpfen. Sie würden immer wieder denken und erzählen, was sie alles stört. Aber viele könnten nicht klar benennen, was eigentlich los ist. Also: Was war das ursprüngliche Motiv, sich auf diese Situation einzulassen, die jetzt nicht mehr gut ist (Bei Max: Vielversprechender Karriereschritt in einem Fachgebiet, in dem er sich weiterentwickeln will)? Was genau ist jetzt nicht gut bzw. welche Fakten geben Anlass, einen Abbruch zu erwägen (Bei Max: Vorgesetzter ist in erster Linie an eigenen Projekten interessiert, für die er die Mitarbeitenden einspannt und dann die Früchte davon erntet. Angst- und Leidenskultur, die Mitarbeitenden trauen sich nicht, aufs Problem hinzuweisen. Sie sind erschöpft, unzufrieden, Freude am Fach und Selbstwertgefühl verflüchtigen sich)? Wie hat sich die Situation so verschlechtern können? Wie war sie am Anfang? Was hat zur Ernüchterung beigetragen?
- Sich zugestehen: Man muss nichts und niemandem etwas beweisen. Man muss nicht etwas Begonnenes weiterführen, weil es einmal gut war.
- Erkunden: Wie sähe die Situation aus, wenn sie gut wäre? Bei Max etwa: Gemeinsam und einzeln einen Beitrag leisten zu einer wichtigen Forschung. Sich dafür engagieren, auch mal Überstunden machen, aber nicht strukturell und über längere Zeit Dinge machen, die nicht abgemacht worden sind und die verhindern, am eigenen Projekt zu arbeiten. Am Morgen gerne zur Arbeit gehen – statt mit einem Knoten im Bauch. Mit den Kollegen engagiert sachbezogene Probleme lösen, Ideen entwickeln, einander inspirieren – statt in einer Art kollektiven Starre zu versuchen, durchzuhalten.
- Sich für Verbesserung einsetzen: Wie würde ich mich hier als Person verhalten, die Verbesserung ermöglicht – im Wissen darum, dass es dazu alle Beteiligten braucht? Wie kann ich dazu beitragen, dass sich die Situation verbessern kann? Max hatte entsprechende Schritte gemacht. Er hatte Probleme auf den Tisch gelegt. Vom Vorgesetzten wurden sie nicht aufgenommen. Seine Kollegen hatten Angst vor Konsequenzen.
- Den motivierenden Horizont überprüfen und allenfalls „justieren“. Sich vergegenwärtigen: Es gibt verschiedene Wege, die zu diesem Horizont führen. Am motivierenden Horizont von Max war nichts falsch. Er realisierte, dass es nicht der einzige Weg war, auch wenn noch nicht so deutlich war, was gute alternative Wege waren.
- Sich mit Alternativen auseinandersetzen: Wie würde eine neue gute Situation aussehen? Wozu würde sich der Mut lohnen, jetzt gut Begonnenes abzubrechen? Was wäre der Gewinn? Max hatte den Mut, nicht die nächstbeste Doktoratsstelle zu suchen; er entschied sich, erst mal eine Pause einzulegen und als Arzt zu arbeiten. Er war gerne Arzt. Auch wenn er seinen Traum einer Karriere in seinem Forschungsgebiet nicht aufgab, fand er es auch eine schöne Perspektive, eine Zeit als Arzt zu arbeiten.
- Risiken und Ängste unter die Lupe nehmen: Was ist das Schlimmste, was passieren kann, wenn ich jetzt den eingeschlagenen Weg verlasse? Es war für Max ein reales Risiko, dass seine Karriere beschädigt werden könnte. Schließlich war sein Vorgesetzter ein renommierter Forscher. Es ist wichtig, Risiken zu sehen. Max kam zum Schluss, dass der Preis des Verharrens zu hoch war. Er wollte nicht wie seine Kollegen mehr als üblich Zeit brauchen zum Beenden seiner Dissertation. Er wollte nicht unzufrieden und erschöpft sein. Er wollte die Freude am Fach behalten.
- Den Sprung wagen – sich selbst trauen. Auch das ist anspruchsvoll. Das Umfeld von Max war sehr erstaunt über diesen Schritt. Das hätte ihn verunsichern können. Er traute sich selbst. Weil er genau hingeschaut hatte, sich ehrlich mit sich und der Situation auseinandergesetzt hatte. Weil ihm klar war, wofür er sich entschied: Für sich selbst.
Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…
- Mehr zum Mut zu eigenständigen Entscheidungen in meinem Buch „Die Kunst, über den eigenen Schatten zu springen oder wie Sie Schwierigkeiten bei Neuanfängen meistern“, dort Kapitel 9 „‘Soll ich, soll ich nicht…‘ – Von Zögern und Zweifeln zu Klarheit“. Das Buch ist vergriffen, aber in Bibliotheken oder gebraucht noch erhältlich. Oder kontaktieren Sie mich.
- Einen Einblick in die gleiche Thematik gibt es in der Ausgabe 10/2015 der Zeitschrift Psychologie Heute, die den schönen Titel trägt „Ich steh dazu! Wie Sie schwierige Entscheidungen treffen und damit glücklich werden.“
- Folgende Newsletter-Ausgaben könnten Sie in diesem Zusammenhang auch interessieren (in umgekehrt chronologischer Reihenfolge):
- Newsletter 2022/09: „Vom Mut, einen auf der Hand liegenden Schritt nicht zu tun“
- Newsletter 2022/08: „Mut bedeutet nicht immer, zu tun, was auf der Hand liegt“
- Newsletter 2022/03: „Bedürfnis nach Veränderung? Erst genau hinschauen!“
- Newsletter 2015/11: „Von Zögern und Zweifeln zu Entscheidungen, die passen“
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