Positive Erwartungshaltung

Grüezi – Guten Tag!

Eine positive Erwartungshaltung ist essenziell: Das Vertrauen, dass Dinge sich positiv entwickeln. Was es damit auf sich hat und was eine positive Erwartungshaltung von Erwartungsdruck oder Wunschdenken unterscheidet, darum geht es in diesem Newsletter. Nicht nur in der Adventszeit ist es nützlich, sich dazu ein paar Gedanken zu machen.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Positive Erwartungshaltung: Wichtige Ressource oder Stressor?

Kürzlich gab ich ein Seminar für eine Gruppe hochspezialisierter Pflegeprofessionals. U.a. stellte ich den Veränderungskreis © vor, mein Konzept zu den drei Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung. Dies als Basis für die Kernthematik des Seminars: Wie können Pflegeprofessionals in Orientierung am Veränderungskreis © Patienten/Patientinnen stimulieren, sich für Lebensqualität einzusetzen. Der „rote Faden“: Die Erfahrung von Lebensqualität ist eine wichtige Ressource. Lebensqualität fällt nicht vom Himmel. Man muss etwas dafür tun. Dies erfordert Veränderungskompetenz, die Fähigkeit, das Leben zu gestalten und sich einzusetzen für das, was einem wichtig ist. Dabei können kleine Schritte viel bewirken.

Eine der drei Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung ist „Vertrauen, ‚anzukommen‘“: Ein inneres Wissen bzw. die Erfahrung, dass es im Leben immer wieder positive Wendungen geben und man selbst aktiv dazu beitragen kann – auch wenn sich Resultate nicht abzwingen lassen, Resultate sich auf andere Weise, zu einem anderen Zeitpunkt einstellen können als gedacht oder erhofft. Im Kern ist das nichts anderes als was in der Psychologie auch „positive Erwartungshaltung“ genannt wird.

Eine Seminarteilnehmerin nimmt das Stichwort „Erwartungshaltung“ auf und bringt ein: Sie beobachte, dass Erwartungen oft kontraproduktiv seien, Stress bewirken und Positives verhindern. Erwartungen können unrealistisch sein, zu Enttäuschungen führen. Sie habe sich angewöhnt, möglichst nichts zu erwarten, egal ob es darum gehe, wie weit sie einen Patienten zu Eigenverantwortung anregen könne oder darum, wie Weihnachten gefeiert werden. Das bewähre sich im Alltag.

Bevor Sie weiterlesen: Vielleicht wollen Sie sich vergegenwärtigen, welche Assoziationen Sie beim Begriff „Erwartung“ bzw. „positive Erwartungshaltung“ haben.

In der Pause unterhalte ich mich mit dieser Seminarteilnehmerin. Sie konkretisiert ihre Anschauung am Beispiel, wie Menschen Weihnachten feiern. Oft würde so viel erwartet – mit dem Resultat, dass am Schluss viele gestresst und/oder enttäuscht seien. Sie hätte das in ihrer Familie thematisiert, und sie hätten zusammen abgemacht, die Festtage ganz einfach zu gestalten, mit Lasagne und ohne Geschenke. Einfach Zeit füreinander. Seither seien die Festtage wirklich ein Fest, auf das sich alle freuen.

Ich bin vollkommen mit ihr einig: Erwartungen führen schnell einmal zu Erwartungsdruck. Erwartungsdruck ist keine gute Basis für erfreuliche Resultate.

 

Was eine positive Erwartungshaltung charakterisiert

Zugleich bringt gerade die Lösung, die die Seminarteilnehmerin bei der Gestaltung der Festtage mit ihrer Familie gefunden hat, schön zum Ausdruck, was eine „positive Erwartungshaltung“ charakterisiert und von Erwartungsdruck unterscheidet:

  • Eine positive Erwartungshaltung ist verbunden mit positiven Gefühlen: Die Familie der Seminarteilnehmerin hat sich darauf ausgerichtet, was für sie schöne Festtage sind. Sie haben entsprechend Prioritäten gesetzt und gehandelt. Sie machten die Erfahrung, dass so Neues, Positives entstehen kann – gerade durch den bewussten Abschied von Erwartungen, die lediglich zu Druck führten. Jetzt freuen sie sich auf die Festtage, sie haben die positive Erwartungshaltung, dass das eine gemütliche Zeit wird.
  • Eine positive Erwartungshaltung ist verbunden mit Offenheit: Die Familie der Seminarteilnehmerin hat primär entschieden, sich von gängigen Vorstellungen, wie Festtage zu feiern sind, zu lösen und neue, andere Wege zu finden – solche, die die Festtage gemütlich werden lassen. Indem sie sich von Erwartungen löste, die Druck bewirkten, öffnete sie sich für Neues, Anderes. Eine Person mit einer positiven Erwartungshaltung ist nicht fixiert auf ganz bestimmte Wege und Resultate. Es gibt immer mehrere Wege nach Rom. Wenn ein Weg nicht realisierbar ist, gibt es andere.

Beides ist essenziell für die Gestaltung jeder Lebenssituation. Positive Gefühle ermöglichen ein Handeln jenseits von Druck. Und Offenheit ermöglicht, dass sich Ideen einstellen und sich auch auf unerwartete, überraschende Weise Lösungen ergeben können.

Erwartungsdruck bewirkt genau das Umgekehrte: Er dämpft die Stimmung. Und Menschen, die sich im Handeln von Erwartungsdruck leiten lassen – d.h. der Erwartung, dass ganz bestimmte Resultate zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt erreicht werden – können nicht offen sein für das, was unterwegs geschieht, für Wege und Lösungen, die sich auf andere Weise und/oder zu einem anderen Zeitpunkt einstellen. Dadurch wird Druck erhöht und damit auch die Chance, enttäuscht zu werden. Es entsteht ein negativer Kreislauf.

Anders als die Seminarteilnehmerin ziehe ich daraus aber nicht den Schluss, möglichst keine Erwartungen zu haben. Sondern vielmehr, sich aktiv dafür einzusetzen, dass eine positive Erwartungshaltung entstehen kann.

Eine positive Erwartungshaltung ist nicht zu verwechseln mit naivem Wunschdenken oder passivem Abwarten. Eine positive Erwartungshaltung ist nicht zu reduzieren auf „Ich male mir jetzt aus, was ich mir alles wünsche und denke positiv“.  Sie ist nicht zu reduzieren auf „Es kommt dann schon irgendwie gut“. Das kann zwar durchaus funktionieren, doch in vielen Fällen führt das wiederum zu Druck – „Ich schaffe es immer noch nicht, positiv zu denken“ – oder zu Enttäuschung – „Jetzt ist immer noch nicht eingetroffen, was ich mir wünsche“.

Darum gehören zu einer positiven Erwartungshaltung bzw. zu „Vertrauen, ‚anzukommen‘“ immer auch die beiden anderen Dimensionen „Bereitschaft, genau hinzuschauen“ und „Entschlossenheit und Mut, vorwärts zu gehen“.

Um eine echt positive Erwartungshaltung zu entwickeln, ist es wichtig,

  • genau hinzuschauen, sich mit Realitäten und eigenen Sicht- und Denkweisen auseinanderzusetzen. Die Seminarteilnehmerin und ihre Familie hatten den Mut, einzugestehen: „So macht es keine Freude.“ Eine positive Erwartungshaltung schließt die Auseinandersetzung mit Realitäten und auch Beeinträchtigendem nicht aus, sondern ein. Wer beispielsweise gerade Lösungen sucht, wie die Hypothek aufs Haus weiter bezahlt werden kann oder wer eine Partnerin hat, die mit seriösen Gesundheitsproblemen konfrontiert ist, wird begreiflicherweise kaum eine positive Erwartungshaltung entwickeln können, wenn diese realen Probleme nicht einbezogen werden. Ebenso wird sich kaum eine positive Erwartungshaltung einstellen, wenn ich etwa daran zweifle, dass es auch in meinem Leben positive Wendungen geben kann, wenn ich überzeugt bin, immer zu kurz zu kommen oder wenn ich meine, den Erwartungen anderer entsprechen zu müssen. Ohne genaues Hinschauen wird „positive Erwartungshaltung“ schnell einmal zur leeren Floskel – oder zum neuen Druck „Jetzt muss ich auch noch eine positive Erwartungshaltung haben!“ Genaues Hinschauen ist die Basis. Auf dieser Basis können bewusst Schritte unternommen werden, die eine positive Erwartungshaltung ermöglichen, etwa: Sicht- und Denkweisen erkennen, die positive Entwicklung unter-graben und lernen, ihnen nicht die Macht über das Handeln zu geben. Sich an Situationen erinnern, die man bewältigt hat und die ermutigen, auch jetzt an Möglichkeiten zu glauben. Oder: Sich an Menschen orientieren, die Ähnliches gemeistert haben. Und: Einen „motivierenden Horizont“ entwickeln, wie ich dies nenne, d.h.
  • sich damit auseinanderzusetzen, was eine Situation beinhaltet, die Anlass zu einer positiven Erwartungshaltung gibt. So hat sich die Seminarteilnehmerin mit ihrer Familie damit beschäftigt, was für sie gemütliche Festtage beinhalten. Statt am Gewohnten festzuhalten, entschieden sie: „Lass uns schauen, wie wir die Festtage anders gestalten können. Lass uns Ideen sammeln, wie für uns Festtage aussehen, auf die wir uns freuen können.“ Natürlich gibt es Menschen, die einfach eine positive Grundhaltung haben und sich vom Leben überraschen lassen. Prima. Doch durch die Entwicklung eines motivierenden Horizonts lässt sich eine positive Erwartungshaltung aktiv fördern: Indem man sich damit auseinandersetzt, in welche Richtung man aufbrechen, wie man das Leben gestalten will. Indem man ein inneres Bild entwickelt, das Energie gibt, positive Gefühle bewirkt und Handlungsoptionen erschließt. Damit es nicht nur bei Vorstellungen bleibt, sondern auch zu Erfahrungen kommt, ist es schließlich wichtig,
  • den Mut aufzubringen, Regie zu übernehmen und zu gestalten. Die Seminarteilnehmerin und ihre Familie hatten den Mut, aus Gewohnheiten auszubrechen und die Festtage so zu gestalten, wie sie das schön finden. Das bewirkte, dass sie sich heute auf Festtage freuen können – auch wenn dies allenfalls nicht gängigen Vorstellungen entspricht. Einfach Lasagne und keine Geschenke. Es geht nicht um die Lasagne oder um Geschenke – es geht um den Mut, eigenständig zu gestalten. Warum? Weil die Erfahrung, dass dies möglich ist und zu positiven Resultaten führt, befreiend und ermutigend ist – und damit erneut positive Gefühle bewirkt. Damit sind wir wieder beim Anfang. Ein positiver Kreislauf kommt in Gang. Der auch auf andere Situationen übertragen werden kann.

Eine so verstandene positive Erwartungshaltung ist essenziell – nicht nur wenn es um die Gestaltung von Festtagen geht. Sicher, es ist sinnvoll, erst einmal Erwartungen zu erkennen, die kontraproduktiv sind und sich davon zu lösen. Sicher, es ist besser, keine Erwartungen zu haben und offen zu sein für das, was das Leben einem entgegenträgt als sich von Erwartungen stressen, blockieren, erschöpfen, enttäuschen zu lassen. Doch eine positive Erwartungshaltung führt darüber hinaus. Wer eine positive Erwartungshaltung entwickelt,

  • lernt, dass positive Gefühle aktiv mobilisiert werden können;
  • ermöglicht Entspannung;
  • fördert den Zugang zu Ideen und „Zufällen“;
  • ist in der Lage, entschlossen und zugleich gelöster und flotter zu handeln;
  • erfährt, aktiv Positives bewirken zu können ohne Resultate abzwingen zu wollen.

In dem Sinne wünsche ich Ihnen den Mut, Erwartungen, mit denen Sie sich selbst einschränken, zu erkennen und sich davon zu trennen. Ich wünsche Ihnen die Erfahrung, dass durch Offenheit Ideen entstehen und sich oft auf überraschende Weise positive Wendungen und Lösungen einstellen. Ich wünsche, dass Sie sich Zeit nehmen, aktiv dazu beizutragen, dass eine positive Erwartungshaltung gedeihen bzw. entstehen kann. Vielleicht beginnt das ja damit, dass Sie sich damit auseinandersetzen, wie Sie die Festtage gestalten wollen.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Wie gesagt: Eine positive Erwartungshaltung kann auch als „Vertrauen ins Gelingen“ verstanden werden. Was Anlass gibt, zu vertrauen, was Vertrauen beinhaltet und ganz besonders, wie Vertrauen mit ganz konkreten Schritten gefördert werden kann, erfahren Sie ausführlich in meinem Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“.

 

 


Hier können Sie

Hier erfahren Sie mehr über