Raum schaffen für Wachstum

Grüezi – Guten Tag!

Viele Menschen fühlen sich eingeengt. Sie fühlen sich bestimmt von Umständen. Es ist so vieles, was muss. Da geht schnell einmal Überblick verloren. Wie es so schön heißt: „Vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht mehr.“ Gleichzeitig geht auch schnell einmal der Kontakt zu sich selbst verloren. Die Aufmerksamkeit verliert sich im Gestrüpp täglicher Termine, Aufgaben, Routinen. Boden für Stressspiralen und Unzufriedenheit. Kein guter Boden für persönliches Wachstum, Gesundheit, Lebensfreude. (Wie) lässt sich dies ändern? Davon handelt dieser Newsletter.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Der blühende Fliederbaum

Die letzten Wochen war ich für eine Reihe von Seminaren unterwegs. Zurück in Den Haag entzückte mich der Fliederbaum in unserem Garten: Er stand in voller Blüte. Was für ein schönes Willkommensbouquet!

Ich freue mich doppelt, denn dieser Flieder hatte schlechte Zeiten.

Fünfzehn Jahre zurück. Ich war eben hier eingezogen. Am Garten war lange nichts gemacht worden. Das Gras stand hoch, Büsche und Bäume wuchsen in alle Richtungen. Eines Tages kroch ich unter drei hohen, dicht nebeneinanderstehenden Bäumen mit immergrünen dunklen, stachligen Blättern durch, um zu schauen, was dahinter war. Und da stand er: Der Fliederbaum. Eingeengt zwischen seinen großen Kollegen und dem hohen Gartenzaun, kaum Luft und Raum für sich selbst. Viele Äste waren dürr, doch ganz oben in der Krone waren einige in Richtung der nachbarlichen Gärten gewachsen – und standen in Blüte!

Etwas später packten mein Mann und ich den Garten an. Wir entfernten die großen dunklen Bäume und das viele Gestrüpp. Wir entschieden uns, dem Flieder Raum zu geben. Und waren gespannt: Würde er den Schritt vom Serbeln zum Wachsen schaffen?

Und wie! Während den letzten Jahren ist er regelrecht explodiert. Als ob er sich dafür bedanken würde, Raum erhalten zu haben.

Ich stehe vor dem Baum und denke: Wie schön, wenn Menschen sich auch Raum schaffen würden, um wachsen zu können.

In meiner Arbeit, aber auch privat beobachte ich, wie viele Menschen sich eingeengt fühlen. Nicht von Bäumen, vielmehr von „Umständen“.

All die Reize, denen wir täglich ausgesetzt sind und die uns in Trab halten. Die volle Agenda. Am Arbeitsplatz oft Druck, zunehmende Bürokratie, Regeln, wenig Gestaltungsraum und überdies oft Unsicherheit. Während ich eines der Seminare gab, wartete einer der Teilnehmenden auf Bescheid: Es gab an diesem Tag eine politische Entscheidung über das Fortbestehen seiner Arbeitsstelle im Bereich Arbeitsintegration. Und auch im Privatleben scheint es oft wenig Raum zu geben, gibt es eine ganze Menge von Dingen, die „müssen“; so müssen etwa Teilnehmende ein Seminar früher verlassen, um ihr Kind in der Krippe abzuholen oder die 90jährige Schwiegermutter vom Kinderhüten abzulösen. Darüber hinaus das ungute Gefühl vieler, wenn es um politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen geht. Raum zu Wachstum?

Wie würden Sie Ihre eigene Situation beschreiben? Gibt es Umstände, die Ihnen das Gefühl geben, wie der Fliederbaum kaum Raum und Luft zu haben? Oder freuen Sie sich über Raum und Möglichkeiten, selbst zu wachsen und zu blühen?

Ich stehe vor dem Flieder und denke: Viele Menschen fühlen sich wohl so eingeengt wie es der Flieder früher war. Wie der Flieder, der einen Ausweg in die Nachbargärten suchte, versuchen viele, sich kleine Freiräume zu nehmen. Das erlaubt ein Aufatmen. Ein „Feel good“. Nichts falsch damit. Aber strukturell ändert sich nichts.

Andere versuchen, sich mit einem Radikalschritt zu befreien. Immer wieder erfahre ich, dass Menschen ins Blaue hinein die Arbeitsstelle kündigen. Das kann gut gehen. Oder auch nicht. In einem dieser Frühlingsseminare erzählt eine Laufbahnberaterin von einem Arzt, der zu ihr in die Beratung gekommen war. Er hätte von „goldenen Fesseln“ gesprochen – bei gut bezahlter Arbeitsstelle war er erschöpft und unzufrieden. So viel Druck. So viel Bürokratie. So viel Arbeit. Er war in die Beratung gekommen mit dem Wunsch nach beruflicher Veränderung. Doch Veränderung in welche Richtung? Das wusste er nicht. Kein Wunder: Wo Stress und Unzufriedenheit dominieren, bleibt Kreativität auf der Strecke. So entstehen Negativspiralen.

Wir leben in Zeiten, in denen wir nicht ruhig zurücklehnen können. Es gibt reale Herausforderungen. Wir werden von vielen Seiten konfrontiert mit Informationen, Beunruhigendem, Veränderung, Erwartungen, Reglementierung, Bedrohung von Wohlstand. Es ist nicht einfach, sich nicht darin zu verlieren. Es ist nicht einfach, Stressspiralen zu vermeiden.

In der Pause spricht mich eine Seminarteilnehmerin an und nimmt die Thematik des Arztes auf. Sie meint, wir würden zu viel arbeiten. Es müssten sechs Wochen Ferien eingeführt werden. Und Vaterschaftsurlaub. Ich bezweifle, ob das die Lösung ist.

 

Raum schaffen für Wachstum

Ich stehe vor dem Fliederbaum. Und denke: Raum zu schaffen für Wachstum. Das scheint mir ein besserer Weg als sechs Wochen Ferien. (Wie) ist das möglich?

Zunächst: Es ist verständlich, dass Menschen in Stressspiralen kommen. Situationen sind oft real belastend. Wer am Arbeitsplatz rotiert und sich Sorgen macht, die Hypothek nicht mehr bezahlen zu können, hat es mit handfesten Dingen zu tun. Doch Stressspiralen werden nicht gestoppt durch Leiden, Sorgen oder Durchbeißen und hoffen, dass es „schon irgendwie“ besser wird. Stressspiralen werden auch nicht gestoppt durch Wellnessmomente – obwohl das ein wichtiger Anfang sein kann, wenn sie dazu genutzt werden, sich Dinge bewusst zu machen und Weichen neu zu stellen. Stressspiralen werden schließlich auch nicht gestoppt durch die Suche von Schuld(igen).

Stressspiralen werden nicht gestoppt durch „mehr desselben“. Sie werden gestoppt durch Innehalten. Sehen, dass man wie ein eingeengter Flieder von dem Vielen, was alles muss, nach Luft ringt. Genau hinschauen. Erkunden: Was kann ich hier tun, um nicht zu ersticken, sondern meinem persönlichen Wachstum Raum zu geben? Und action nehmen. Raum schaffen. Den Mut haben, sich von Dingen, Situationen, Gewohnheiten, aber auch inneren „Wackelkontakten“ zu trennen. Um dadurch wieder Luft zu bekommen.

Dies beinhaltet:

  • Blick nach innen. Wir können wachsen, wenn wir wissen, wer wir sind. Wenn wir uns mit Fragen auseinandersetzen wie: Was brauche ich, um im Element zu sein, wachsen zu können? Was gibt mir Energie? Was hilft mir, Distanz zu nehmen, zu entspannen, im Gleichgewicht zu bleiben – gerade, wenn vieles ansteht? Was macht mich widerstandsfähig? Was hilft mir, reale Schwierigkeiten zu meistern? Zugleich: Wo laufe ich fest? Worüber rege ich mich auf? Was macht mir Angst? Und wie wirkt sich dies auf mein Verhalten aus? Welche Resultate erziele ich damit?
  • Überblick schaffen. Wir können wachsen, wenn wir uns Zeit nehmen, genau hinzuschauen. Wie sieht unser Alltag aus? Wie gestalten wir ihn? Gegebenenfalls eben auch: Was gibt uns das Gefühl, eingeengt zu sein? Wie kommt es zur Unzufriedenheit über den Arbeitsplatz? Was genau sind die Stressoren? Was konkret wird uns zu viel? Wie kommt es, dass wir mehr desselben machen? Obwohl wir uns Veränderung wünschen? Welche Überlegungen, Überzeugungen, Werte sind im Spiel? Stimmen sie eigentlich?
  • Prioritäten klären. Wir können wachsen, wenn wir wissen, was uns wirklich wichtig ist. Was wünsche ich mir? Wofür will ich Zeit, Energie, Aufmerksamkeit investieren? Was sind die Konsequenzen? Bin ich bereit dazu?
  • Raum schaffen. Wir können wachsen, wenn wir „aussortieren“, was Wachstum behindert. Wenn wir uns von Ballast lösen – egal, ob es sich um Gegenstände handelt, um Tätigkeiten, um den Umgang mit Reizen, denen wir täglich ausgesetzt sind, um Beziehungen, um Gewohnheiten oder auch Sicht- und Denkweisen, die uns festlaufen lassen. Das kann mit ganz Alltäglichem beginnen: Will ich meinen Tag wirklich mit social media beginnen? Wie wäre es mit einem besinnlicheren Tagesanfang, der mich ruhig und gestärkt anpacken lässt, was es anzupacken gilt? Muss ich wirklich am Abend all diese Diskussionsrunden am Fernsehen schauen? Könnte ich nicht auch ein gutes Buch nehmen, gemütlich mit einer Freundin telefonieren oder einen Spaziergang machen? Müssen unsere Kinder wirklich in all den Sportvereinen mitmachen? Wie wäre es, einfach mal gemütlich ein Spiel zusammen zu machen? Muss ich wirklich an diesem Anlass teilnehmen, bei dem ich aus reiner Höflichkeit zugesagt habe? Wie wäre es, wenn ich den Mut aufbringen würde, zu mir zu stehen und abzusagen? Muss ich unbedingt Gäste mit vier Gängen bekochen, wenn ich doch eigentlich so das Bedürfnis habe nach Entspannung? Wie wäre es, wenn ich es mir einfacher mache? Muss ich wirklich alles schlucken, was mich am Arbeitsplatz stört? Wie wäre es, den Mut aufzubringen, reale Probleme sachlich zu benennen, Verbesserungsvorschläge einzubringen – im Wissen darum, dass ich nicht immer auf offene Ohren stoßen werde, dass ich aber mir selbst gegenüber gerade stehen kann? Muss ich wirklich in einer Situation verharren, in der ich unglücklich bin? Wie wäre es, wenn ich Ideen entwickle, wie ich dieser Situation anders begegnen kann? Wer sich solche Fragen stellt und Schritte wagt, wird feststellen, dass sich Dinge zu verändern beginnen. Dass Raum entsteht. Und vor allem, dass das Gefühl, Hamster im Rad zu sein, gelebt zu werden, abnimmt. Weil wir gestalten statt zu verharren. Weil wir Schwerpunkte setzen statt uns zu verzetteln. Weil wir real schwierige Situationen als Anlass nehmen, Wege zu finden, um anders damit umzugehen statt uns selbst dabei zu ersticken.

Umstände können wir nicht immer sofort ändern. Aber wir können ändern, wie wir Umständen begegnen. Wir können uns selbst an der Hand nehmen. Regie übernehmen. Uns von Ballast befreien. Eine passende Haltung einnehmen gegenüber Dingen, die wir nicht ändern können. Und fokussieren auf das, was wir hier und jetzt tun können, um Raum zu bekommen. Äußeren Raum: z.B. die Wohltat eines aufgeräumten Schreibtisches, erledigter Administration. Raum in Beziehungen: Etwa die Erfahrung, dass man es überlebt, wenn man nicht aus Höflichkeit oder Anpassung an vermeintlichen oder realen sozialen Druck falsche Kompromisse eingeht oder sich erschöpft mit sozialen Aktivitäten, die keine Energie geben. Raum in der Gestaltung des Alltags: Etwa, indem man sich bewusst Zeit nimmt für Besinnung und Entspannung, sozusagen Termine „mit sich selbst“. Inneren Raum: Etwa die Erfahrung, dass durch solche Schritte das Gewirr im Kopf abnimmt, man klarer denken und auf gute Ideen kommen kann. Oder sich neue Gefühle einstellen, etwa Freude und Heiterkeit statt Ohnmachtsgefühle und Atemlosigkeit.

Um wieder auf den Fliederbaum zurückzukommen: Auch wenn er jetzt viel Platz hat, so ist es wichtig, regelmäßig Äste wegzuschneiden, die im Weg sind. Das habe ich eben gemacht. Und so geht unser Fliederbaum frisch frisiert in den Sommer.

Und das mache ich jetzt auch. Es ist mein letzter Newsletter vor der Sommerpause.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer mit Zeit für Dinge, die Ihnen wichtig sind, für Entspannung, Erholung und auch Zeit für Besinnung. Wer weiß, vielleicht wollen Sie diese Zeit nutzen, um eine Auslegeordnung zu machen und zu klären: Wo und wie kann ich Raum schaffen für mein persönliches Wachstum? Ich wünsche Ihnen dabei viel Inspiration, Mut und positive Erfahrungen.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • Raum schaffen für Wachstum heißt verändern. Dabei gelten die gleichen Grundprinzipien: Genau hinschauen, einen motivierenden Horizont entwickeln und durch konkrete Schritte ermöglich, dass Vertrauen ins Gelingen wächst. Mehr dazu in meinem Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“.

 

 


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