Ruhe kreieren

Grüezi – Guten Tag!

Hektik schafft mehr Hektik. Ruhe schafft mehr Ruhe. Und ist Basis, das Leben zu gestalten – was auch immer gerade ansteht. Mehr dazu in diesem Newsletter.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

 

Inhalte

 

„Das fühlt sich gut an…“

Kürzlich mailte mir eine Frau, ob ich kurz Zeit hätte für ein Gespräch, sie kenne meine Arbeit. Da es immer akute Situationen geben kann, bot ich ihr kurzfristig einen Termin an. Keine Antwort. Einige Zeit später klärte sich, dass die von ihr angegebene Mailadresse einen Flüchtigkeitsfehler beinhaltete, sie also mein Mail nicht erhalten hatte. Das kann es immer geben, doch ihre Mails machten auf mich einen unsorgfältigen, hastigen Eindruck. Im Intake zeigt sich, dass sie sozusagen erschöpft ist von sich selbst. Sie hat sich angewöhnt, immer auf Tour zu sein, sich von einem Aktivismus steuern zu lassen, über den sie keine Regie mehr hat. Zwei Diagnosen sind im Spiel, die aber nicht dazu geführt haben, dass sie etwas ändern konnte. Mental, körperlich und in ihrem Verhalten ist sie gefangen in einer destruktiven Spirale, an der sie leidet. Sie ist so offen und ehrlich, sachlich zu benennen, worunter sie leidet: Chaos. Stetige Hektik. Ein „Messie“-Haushalt. Kinder und ein Mann, die unter ihrer Unruhe leiden. Sich rasch ablenken lassen. Überall meinen, ja sagen zu müssen, mitmachen, dazugehören.

Ich frage sie: „Was wünschen Sie sich am meisten?“ Ihre Antwort: „Dass ich gelassener sein kann.“ Ich frage sie weiter: „Woran wird eine Situation erkennbar sein, in der Sie gelassen sind?“ Sie antwortet konkret: „Ich würde mir Zeit nehmen, wenn die Kinder nach Hause kommen, sie erzählen lassen, statt gleich wieder action zu machen. Ich würde überdenken, mit wem in meinem großen Beziehungsnetz ich wirklich Kontakt pflegen möchte statt von einem oberflächlichen ‚sich rasch auf einen Kaffee treffen‘ zum nächsten zu hetzen. Ich würde nicht auf alles gleich einsteigen, um nachher zu realisieren, dass Wichtiges nicht gemacht ist. Ich würde Ordnung schaffen im Haushalt, sodass die ganze Familie inklusive mir selbst sich wohl fühlt.“

Schließlich frage ich: „Wenn Sie in diese Vorstellung gehen, wie ein Leben als ‚gelassene Frau‘ aussieht – wie fühlt sich dies an?“ Hatten wir bisher angeregt miteinander geredet, wird es jetzt ganz still. Ich sehe, wie sie nachdenkt, in Kontakt kommt mit sich selbst, ganz ruhig wird. Lächelnd und fast staunend antwortet sie: „Das fühlt sich guuuuut an.“

Auf dieser Basis können wir in Ruhe besprechen, wie sie konkret vorgehen kann.

 

Ruhe kreieren…

Diese Erfahrung veranlasste mich zu diesem Newsletter.

Sie wissen natürlich, dass Ruhe sowie die Fähigkeit, selbst in den Ruhe-Modus zu wechseln, wichtig sind. Nicht nur für die mentale und körperliche Gesundheit. Ruhe ist auch die Basis, um das Leben zu gestalten – mit welchen Situationen auch immer wir es zu tun haben.

Was bekannt ist, gelingt in der Praxis nicht immer. Es gibt Menschen, die konstant in einem Unruhe-Modus sind. Das bewirkt mehr desselben, was mit der Zeit zu mehr realen Problemen führt, die dann wiederum mehr Zeit und Energie absorbieren. So entstehen negative Spiralen, die auf Dauer mentale und körperliche Gesundheit belasten, gute Beziehungen und produktive Arbeit erschweren, was wiederum zusätzliche Probleme begünstigt.

Was dann häufig gemacht wird: Noch mehr Fokus auf Umstände, die belasten, Energie und Zeit fressen. Noch mehr tun. Meist löst dies nichts. Aber begünstigt Unglücklichsein und Erschöpfung.

Das Beispiel der Beratungskundin zeigt, dass es selbst in Situationen, in denen Hektik über Jahre zur Gewohnheit geworden ist, möglich ist, Ruhe zu kreieren. Hier und jetzt.

 

…in ganz unterschiedlichen Situationen

Auch in anderen Situationen bewirkt die Kunst, Ruhe zu kreieren, Positives – egal, ob bei sich selbst oder bei anderen.

  • Bei sich selbst: Ich habe selbst gerade sehr viel am Kopf. Schlicht und einfach viel Arbeit. Ich sehe diese Situation als gute Übung, mit einigen Strategien immer wieder Ruhe zu kreieren: Ein plastisches inneres Bild, worauf ich hinarbeite bzw. wie eine Situation aussieht, in der das viele, was jetzt ansteht, gut gemeistert ist, ohne dass ich ausgepumpt bin, sondern so, dass ich meinen Energielevel konstant halten kann. Regelmässiges Aktivieren der Freude, als ob diese Situation bereits erreicht wäre. Eine Planung, die ermöglicht, dass ich in Blöcken an etwas arbeiten kann und die zugleich auch Raum lässt für Unvorhergesehenes. Ein ruhiger Einstieg in den Tag mit Übungen für Geist und Körper. Zwischendurch immer wieder Zeit nehmen, um Überblick und Klarheit zu schaffen: Wie bin ich unterwegs? Kann ich so weiter? Wenn ich in einer Arbeit festlaufe: Unterbrechen, etwas anderes tun, frische Luft schnappen. „Loving kindness“ mir selbst gegenüber. Ich nenne dies „Teamwork mit mir selbst“. Ein schöner Nebeneffekt: Ich spüre Neugierde und Heiterkeit, erfahre es als interessant und lehrreich, diese Phase als Übungsfeld zu sehen. Zwei Fliegen auf einen Schlag sozusagen: Ich kann produktiv arbeiten und komme zugleich in meiner eigenen Entwicklung weiter. Na ja, ab und zu muss ich mich am Schopf packen.
  • Als Eltern: Die Beratungskundin, von der ich eingangs erzählt habe, wurde von ihren Kindern darauf aufmerksam gemacht, wie sie Hektik unterbrechen kann: „Mamma, Du musst überhaupt nichts machen. Wir wollen Dir einfach mal erzählen“ (!) Also: „Einfach“ Zeit nehmen. Wie eine Mutter, die sich kürzlich während einer Fahrt im Lift des Supermarkts ganz ruhig und zugewandt mit ihrem kleinen Sohn unterhielt. Hier und jetzt. Der Bub war ganz entspannt, zufrieden. Ein wohltuendes Bild.
  • Als Professional: Egal, ob Laufbahnberater, Ärztin, Immobilienmakler – Sie werden Situationen kennen, in denen Ihr Gegenüber Hektik verbreitet, gestresst ist, nicht zuhört. Mit Ihrem Verhalten können Sie anderen ermöglichen, mehr in Ruhe zu kommen. Ich ging bewusst nicht auf all die Geschichten, Diagnosen und die Hektik der Beratungskundin ein. Ich ermöglichte ihr, den Modus zu wechseln, indem ich einen Perspektivenwechsel anregte. Eindrücklich erfuhr ich dies auch mit einem Beratungskunden, der allen Grund zur Hektik hatte: Seine Partnerin, mit der zusammen er ein Geschäft führte, beendete plötzlich die Beziehung. Damit nicht nur keine Partnerin mehr, sondern auch kein Einkommen, kein Dach über dem Kopf. Hektisches „Feuerlöschen“ hatte nur zu zusätzlicher Hektik, Schlafstörungen und Panik geführt. Ich lud ihn als erstes ein, genau hinzuschauen: Wir nahmen jede Baustelle unter die Lupe, er nannte die wichtigsten Fakten. Nur schon dies machte ihn ruhiger – er erhielt Überblick und konnte Prioritäten bestimmen: Einen Job finden und Maßnahmen treffen, sich in dieser extremen Situation nicht völlig zu erschöpfen. So konnten wir eine klare Strategie bestimmen: Strukturierte Jobsuche, zeitlich begrenzt. Und am Nachmittag etwas tun, was ihm half, zu entspannen. Manch anderer hätte gesagt: Geht’s noch?! Nicht dieser Herr. Er ging jetzt nachmittags in die Sauna. Dies führte zum Dreh: Er kreierte mentale und körperliche Ruhe. Dies wiederum ermöglichte ihm konzentrierte Stellensuche. Ein Kollege machte ihn auf eine freiwerdende Stelle aufmerksam. Er erhielt diese Stelle. Das wäre kaum der Fall gewesen, wenn er sich in akutem Stress verfangen hätte. Er hatte die Größe, Ruhe zu kreieren. Ich habe lediglich den Impuls gegeben. Es ist wichtig, sich als Professional nicht in Hektik und Stress hineinziehen zu lassen. Wo dies gelingt, kann dies Erstaunliches bewirken.
  • Als Führungsperson: Ein Beratungsprofessional erzählte mir kürzlich positiv von seiner neuen Vorgesetzten. Sie hätte sehr viel Arbeit, zähle gerne auf seine Erfahrung, um sich rascher in die Arbeit einzufinden. Zwischendurch sage sie: „So, lass uns mal einen Kaffee trinken.“ Ein wesentliches Merkmal kompetenter Führungsarbeit ist die Fähigkeit, Ruhe zu kreieren. Sodass Mitarbeitende gut tun können, was sie tun müssen. Leider ist das nicht so selbstverständlich wie es tönt; manche Führungskräfte kreieren nicht Ruhe, sondern verbreiten Stress.
  • Als Mitglied eines Teams: Ein anderer Beratungsprofessional hatte es mit einem solchen neuen Vorgesetzten zu tun, der Stress verbreitete. Innert Kürze führte dies zu Spannungen im Team. Es kam zu Krankheitsausfällen und Kündigungen. Der Beratungsprofessional übte sich darin, selbst ruhig zu bleiben, reale Probleme zu benennen, dafür sachliche Lösungsvorschläge einzubringen. So trug er sehr dazu bei, dass das Team diese Führungsperson „überlebte“. Inzwischen gibt es glücklicherweise eine neue.
  • Im öffentlichen Leben: In meiner neuen Lebensumgebung fiel mir von Anfang an auf, wie entspannt und freundlich die Atmosphäre ist. Menschen geben einander im Verkehr ruhig Vorrang, es gibt keine Aggression, kein Drängeln. Sie grüßen einander mit einem freundlichen „buongiorno“ und nehmen sich auch mal Zeit für ein Schwätzlein, selbst mit Unbekannten an der Supermarktkasse. Man sieht und spürt kein Gehetze. Das tut richtig gut und beeinflusst die eigene Stimmung. Wer selbst entspannt und freundlich ist, trägt dazu bei, dass andere das auch (mehr) sein können. Das beginnt mit so etwas Simplen wie einem freundlichen Gruß an eine unbekannte Person.

 

Vergegenwärtigen, warum wichtig ist, was einleuchtet

Wir können Umstände nicht immer bestimmen. Aber wir können immer bestimmen, wie wir Umständen begegnen. Indem wir bewusst immer wieder Ruhe kreieren, übernehmen wir Regie. Wir können lernen und üben, Hektik, Druck – egal, ob durch Umstände oder in unserem Kopf ausgelöst – zu unterbrechen.

Neurobiologie ermöglicht, besser zu verstehen, warum wichtig ist, was unmittelbar einleuchtet und allgemein bekannt ist. Dieses Verstehen wiederum ermöglicht, bewusster zu tun, was man vielleicht schon intuitiv macht bzw. lernen möchte.

Wo wir uns in der Kunst üben, Hektik, Druck, Belastung, Stress bewusst zu unterbrechen und Ruhe zu kreieren, üben wir uns neurobiologisch darin, vom Stress- in den (Re)Creation-Modus zu wechseln. Indem wir unsere Aufmerksamkeit bewusst statt noch mehr auf Hektik Bewirkendes richten, sondern umlenken auf eine Situation, in der wir in Ruhe und Gleichgewicht sind sowie auf alles, was uns ruhig werden lässt, geben wir unserem Gehirn und Körper das Signal, dies ebenfalls zu tun. Auch wenn Umstände, Stressoren damit noch nicht aus der Welt geschafft sind – wir schaffen die Basis, auf der wir kompetent vorgehen können. Wir verhindern, dass wir noch zusätzlich belastet werden durch physiologische Prozesse, die ausgelöst werden, wenn wir im Stress-Modus sind.

Indem wir uns in der Kunst üben, Ruhe zu kreieren, ermöglichen wir nicht nur Gehirn und Körper Entspannung und Regeneration. Wir kommen zugleich in den Modus, in dem wir Zugang haben zu unseren Erfahrungen und unserer Kreativität. Und genau dies befähigt uns, Lösungen zu finden für was auch immer ansteht.

Überdies befähigt Wissen, zu verstehen, warum Ruhe oft nicht einfach auszuhalten ist. Wenn wir uns einen Hektik-Modus angewöhnt haben, haben sich unser Gehirn und Körper darauf eingestellt. Wenn wir Ruhe kreieren und dadurch dieses Muster unterbrechen, bewirkt dies neurochemisch andere Prozesse – und kommt es dadurch zu einer Art Entzugserscheinung. Wer das weiß, ist in der Lage, dann nicht gleich wieder in Hektik zu flüchten.

 

Ruhe kreieren – Anregungen für den Alltag

  • Motto „Bist Du in Eile, so geh langsam“.
  • Genau hinschauen: Was führt dazu, dass ich in Hektik gerate? Welche Umstände? In welchen Situationen? Und: Wie reagiere ich darauf? Welche Sicht-, Denk- und Verhaltensweisen verstärken Hektik? Welche ermöglichen passendes Vorgehen?
  • Perspektivenwechsel: Wie will ich eigentlich sein? Wie bin ich als Person, die sich in der Kunst übt, Ruhe zu kreieren? Wie denke und verhalte ich mich als diese Person? Welche Gefühle werde ich haben, wenn es mir gelingt, mehr so zu denken und zu handeln und dadurch andere Resultate zu bewirken? Etwa: Freude, sich selbst an der Hand nehmen zu können. Oder: Staunen, dass sich mit kleinen Schritten und neuen Sicht-, Denk- und Verhaltensweisen Situationen zu ändern beginnen.
  • Wie kann ich das im Hier und Jetzt schon tun? Wie kann ich hier und jetzt denken, fühlen, handeln als eine Person, die in der Kunst geübt ist, Ruhe zu kreieren?
  • Am Morgen nach dem Erwachen: Statt Fokus auf das, was ansteht oder Griff zum Smartphone für ein paar Minuten ruhig liegen bleiben und die Aufmerksamkeit auf Fragen wie folgende lenken: „Wann werde ich sagen: Heute war ein guter Tag?“ Oder: „Wie kann ich heute in den Tag gehen als Person, die Ruhe kreieren kann?“ Oder: „Was kann ich gewinnen, wenn ich heute übe, Hektik zu unterbrechen und neue Denk- und Verhaltensweisen im Umgang mit einer Situation wage? Was ist ein konkreter neuer Schritt?“ Lassen Sie das damit verbundene Bild lebendig werden sowie die Gefühle, die Sie haben werden, wenn Sie am Abend auf einen guten Tag zurückschauen können. So kreieren Sie Ruhe und ermöglichen sich neue Erfahrungen. Die Verknüpfung einer Vorstellung der angestrebten Situation (Kognition) mit damit verbundenen positiven Gefühlen (Emotion) ermöglicht, dass Gehirn und Körper, Denken und Fühlen in die gleiche Richtung zielen, damit werden Wunschdenken und Selbstsabotage vermieden („Ich will ja so gerne, aber…“).
  • Das kann es immer geben: Situationen, die uns unmittelbar in die Sätze bringen. Es ist nützlich, eine Art „Erste Hilfe“-Strategien zu entwickeln, um zu vermeiden, gleich „anzuspringen“ und damit ganze Kaskaden neurochemischer Prozesse in Gehirn und Körper auszulösen, die erst recht in den „Hektik“-Modus führen. Etwa: Auf 10 zählen. Atemübung. Ein Motto, Symbol oder Bild als Reminder, innezuhalten. Die Aufmerksamkeit für einen Moment bewusst auf anderes lenken (z.B. Atem) bzw. den Fokus öffnen (Helikopterblick).
  • Sich Wissen aneignen zum Stress- vs. (Re)Creation-Modus. Wissen ermöglicht, bewusster zu tun, was man intuitiv tut.
  • Strategien pflegen, die unterstützen, Ruhe zu kreieren, etwa Meditation, Yoga, auch Sport.
  • Bewusst Zeiten „einbauen“, in denen „Kanäle“ zur Außenwelt unterbrochen werden, etwa Pause einlegen mit (Social)Media oder einen „Termin mit sich selbst“ abmachen.
  • Unterschiede wahrnehmen, etwa, dass Konzentration sowie Qualität von Kontakten und Arbeit zunehmen.

Ich wünsche Ihnen viel Mut, Experimentierlust und Freude in der Kunst, Ruhe zu kreieren. Die Erfahrung, selbst Regie übernehmen zu können über den Umgang mit allem, was uns in uns und um uns in Trab hält oder in die Sätze bringt, schenkt nicht nur Ruhe, sondern auch das Gefühl von Befreiung und Empowerment.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

 


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