Aus Praxis und Forschung zum eigenen Ansatz

Das Interesse, Praxis und Wissenschaft aufeinander zu beziehen und daraus einen eigenen integrativen Ansatz für die Praxis zu entwickeln, zeichnet Sibylle Toblers Arbeit aus.

Prägend für Sibylle Toblers Arbeit waren Aufbau und Führung zweier Arbeitsintegrationsfirmen. Während zehn Jahren begleitete sie rund 400 Menschen bei der Stellensuche – mit der Auflage, dass diese innert einem halben Jahr eine Stelle im regulären Arbeitsmarkt zu finden hatten.

Es waren Menschen aller Altersstufen, Bildungsniveaus und kultureller Hintergründe, solche mit sehr guten und solche mit schlechten beruflichen Voraussetzungen. Sie beobachtete, dass diese Faktoren nicht entscheidend waren für den Erfolg bei der Stellensuche: Es gab Menschen mit sehr schlechten Voraussetzungen, die ihre Situation mit Mut und Ausdauer anpackten und eine Stelle fanden, während andere mit tadellosen Lebensläufen ins Schleudern kamen.

Zwei Leitfragen

Zwei Fragen begannen Sibylle Tobler zunehmend zu faszinieren:

  1. Was führt im Umgang mit Veränderung vorwärts? Was sind die „Erfolgsfaktoren“ von Menschen, die eine schwierige Veränderungssituation wie Arbeitslosigkeit mit Erfolg meistern?
  2. Wie können Menschen in Veränderungssituationen effizient und effektiv befähigt werden, ihre Situation produktiv anzugehen? Was sind die „Erfolgsfaktoren“ einer Beratung, die rasch und zugleich nachhaltig zu positiven Resultaten führt, z.B. einer neuen Arbeitsstelle?

Diese Fragen wurden und blieben die Leitfragen in Sibylle Toblers Arbeit.

In der Praxis erkannte sie bald Merkmale „positiver Bewältiger“: Bereitschaft, sich mit sich und der eigenen Situation auseinanderzusetzen. Eine offene, positive Grundhaltung. Selbstverantwortung. Der Mut, neue motivierende und zugleich realistische Perspektiven zu entwickeln. Eine positive Erwartungshaltung bzw. Vertrauen, dass sich gute Resultate erzielen lassen. Und schließlich: Bereitschaft zum Einsatz, Frustrationstoleranz und Ausdauer.

Zudem zeichneten sich Merkmale einer effektiven Beratungsarbeit ab: Einerseits offen, flexibel, zugleich fachlich fundiert auf unterschiedlichste Personen und Situationen einzugehen. Andererseits Beratungskunden systematisch und strukturiert zu befähigen, selbst Eigenschaften „positiver Bewältiger“ zu entwickeln und produktiv auf Erfolgserlebnisse hinzuarbeiten. Den Schlüssel zu erfolgreicher Beratung sah sie darin, neben einer realistischen Sicht eigener Möglichkeiten Motivation, Selbstverantwortung sowie Vertrauen ins Gelingen anzuregen.

Um Praxisbeobachtungen zu reflektieren und zu erweitern, beschäftigte sich Sibylle Tobler im Rahmen einer Dissertation auch auf wissenschaftlicher Ebene mit der Thematik.

Ein wichtiger Schwerpunkt war die fächerübergreifende Suche nach Untersuchungsresultaten zu Merkmalen „Positiver Bewältiger“. Das war in den 1990er Jahren fast eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Der Diskurs war damals weitgehend problemorientiert – sowohl in der psychologischen Arbeitslosigkeitsforschung als auch im Beratungskontext. Dominant war die Belastungsperspektive: Untersuchungen und Theorien fokussierten mehr darauf, worunter Menschen leiden als darauf, wie sie es schaffen, Schwieriges zu meistern. Doch es gab schon immer, immer wieder und stets mehr Forschende, die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen verstehen wollten, die ihr Leben in die Hand zu nehmen und Erfolg zu erzielen vermögen. So hatte etwa Marie Jahoda, Pionierin der psychologischen Arbeitslosigkeitsforschung, schon in den 1930er Jahren Merkmale sog. „ungebrochener“ Arbeitsloser beschrieben. Heute sind Ansätze wie Positive Psychologie oder Resilienzforschung im Trend.

Der andere Schwerpunkt war die Auseinandersetzung mit Beratungsansätzen, die an das Bedürfnis einer effizienten, lösungsorientierten und effektiven Beratungsarbeit anschließen. Sibylle Tobler, vertraut mit personzentrierter und systemischer Beratung, begann sich mit ressourcen- und lösungsorientierten Beratungsansätzen zu beschäftigen. Sie war fasziniert vom Ansatz Steve de Shazers, Pionier in diesem Bereich und Begründer Lösungsorientierter Kurztherapie. Erst kritisiert und belächelt, gewannen solche Ansätze zunehmend Aufmerksamkeit in Forschung und Praxis.

Aus der fächerübergreifenden Auseinandersetzung mit ihren beiden Leitfragen entwickelte Sibylle Tobler in ihrer 2004 publizierten Dissertation „Arbeitslose beraten unter Perspektiven der Hoffnung“ ein Beratungsmodell für die Begleitung von Menschen in beruflichen Übergangsprozessen.

Entwicklung des Veränderungskreises ©

Danach löste sie sich sukzessive von der Fokussierung auf berufliche Veränderungen. Ihr Interesse richtete sich zunehmend auf die Schlüsselfaktoren erfolgreichen Umgangs mit Veränderung und die Frage, wie diese gezielt gefördert bzw. erlernt werden können; sie geht heute davon aus, dass Kenntnis dieser Schlüsselfaktoren befähigt, unterschiedlichsten Veränderungen erfolgreich zu begegnen. Diese Schlüsselfaktoren hat sie in ein weiteres Konzept gefasst – den Veränderungskreis © – und dieses 2009 im Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“ einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Um Menschen im Umgang mit Schwierigkeiten, die es in jeder Veränderung geben kann, zu unterstützen, hat Sibylle Tobler 2015 das Buch „Die Kunst, über den eigenen Schatten zu springen oder wie Sie Schwierigkeiten bei Neuanfängen meistern“ publiziert. Hier behandelt sie neun Hindernisse, die Veränderungsprozesse oft blockieren. Neben einem kurzen theoretischen Hintergrund zu jedem dieser Hindernisse zeigt sie, wie man diese erkennt und bewältigen kann.

Thematische Schwerpunkte und Weiterentwicklung

Neben dem Interesse, möglichst breit Merkmale „positiver Bewältiger“ zu verstehen, haben sich über die Jahre zwei thematische Schwerpunkte ergeben: Einerseits die Auseinandersetzung mit dem Thema „positive Erwartungshaltung“: Sibylle Tobler beschäftigte sich in ihrer Dissertation intensiv mit der Thematik „Hoffnung“ und bei der Entwicklung des Veränderungskreises © mit der Thematik „Vertrauen“ – beides wichtige Ressourcen von Menschen, die Veränderungen meistern. Andererseits wurde ihr die Thematik „Motivation“ bzw. „Selbstmotivierung“ immer wichtiger – damit auch die Frage, wie Menschen befähigt werden können, selbst Motivation aufzubauen, sich für Wichtiges einzusetzen. Hier fand sie u.a. inspirierende Anknüpfungspunkte in der neueren Motivationspsychologie und ganz besonders in der Persönlichkeitstheorie Julius Kuhls.

Quer durch alle Forschungsansätze sowie in der Praxis zeigt sich klar, dass nicht Umstände, sondern Haltung und Verhalten entscheidend sind, wie Menschen Veränderung angehen. Im Kern ist der Veränderungskreis darauf ausgerichtet, Menschen in die Lage zu setzen, Haltungen und Verhaltensweisen zu entwickeln, die sie erfahren lassen, Regie übernehmen und ihr Leben gestalten zu können. Neueste Erkenntnisse in den Neurowissenschaften machen nicht nur immer besser verstehbar, wie Denk- und Verhaltensmuster entstehen. Sie bestätigen auch, wofür sich Sibylle Tobler seit 1995 mit Wissen und Herzblut einsetzt: Dass Veränderung immer möglich ist und möglich bleibt. Ganz nach dem Motto „Es ist nie zu spät, so zu sein, wie man es gerne gewesen wäre“ (George Eliot). Durch Sibylle Toblers Auseinandersetzung mit unterschiedlichen neurobiologischen Ansätzen (u.a. Gerhard Roth, Joe Dispenza) wurde der Veränderungskreis überprüft, „kalibriert“ und in seiner Relevanz bestätigt.

In ihrem neuesten Buch „Veränderungskompetenz fördern“ (im Frühling 2021 erschienen) richtet sie sich an Professionals in Führung, Beratung und Therapie, die in unterschiedlichsten Kontexten arbeiten und wissen wollen, wie sie gezielte Förderung von Veränderungskompetenz in ihre fachbezogene Arbeit integrieren können. Dies, weil die beste Fachkompetenz nur greifen kann, wenn sich die Menschen, mit denen sie arbeiten, auf Neues einlassen bzw. Haltungen und Verhaltensweisen pflegen, die einen produktiven Umgang mit Veränderung ermöglichen. In diesem Buch verbindet sie den Veränderungskreis mit aktuellen psychologischen und neurobiologischen Erkenntnissen rund um Entstehung und Veränderbarkeit von Denk- und Verhaltensmustern. Zugleich ist auch dieses Buch sehr praxisorientiert. Mit vielen Beispielen und praktischen Anregungen wird aufgezeigt, wie Professionals konkret Veränderungskompetenz fördern können und wie sie vorgehen können in Situationen, in denen dies nicht ohne Weiteres gelingt.

Die Verknüpfung von Praxis und Theorie in einem eigenen integrativen Ansatz kennzeichnet Sibylle Toblers Denken und Arbeiten. Bis heute.

 


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