Vertrauen ins Gelingen: (Wie) lässt es sich aufbauen, wenn es abhandengekommen ist?

Grüezi – Guten Tag!

Vertrauen ins Gelingen – eine positive Erwartungshaltung – ist eine wichtige Ressource in der Lebensgestaltung; ganz besonders in Situationen, in denen man etwas verändern will oder muss, positive Resultate noch nicht sichtbar sind. Doch: Wie findet man zu diesem Vertrauen (zurück), wenn es abhandengekommen ist? Dazu mehr in diesem Newsletter.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

(Wie) lässt sich Vertrauen aufbauen, wenn es abhandengekommen ist?

Kürzlich hatte ich ein angeregtes Gespräch mit einer professionellen Musikerin. Sie erzählte mir von Musikern, die so unter Leistungsdruck und Bühnenangst leiden, dass dies zum Problem wird; offenbar ist es nicht unüblich, dass sie nur mit Medikamenten auftreten können. Meine Gesprächspartnerin fragt: „Wie können solche Menschen das Vertrauen ins Gelingen zurückgewinnen? Auch oder gerade im realen Druck, dem sie ausgesetzt sind – bei einem Probespiel für eine neue Stelle in einem Orchester und auch bei einem Konzert kommt es darauf an, dass die Leistung erbracht wird. Wie kann man Vertrauen aufbauen, wenn man keines hat? Wie kann man Vertrauen aufbauen, wenn man blockiert ist und es gerade dadurch immer schwieriger wird, Talent und musikalische Professionalität auf natürliche Weise buchstäblich schön zum Klingen zu bringen?“

Eine interessante und wichtige Frage. Abhandengekommenes Vertrauen macht vielen das Leben schwer – nicht nur Musikern. Manchmal tragen Ereignisse bereits in der Kindheit dazu bei, manchmal schlechte Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen, in der Schule, am Arbeitsplatz. Manchmal sind es auch unerwartete Ereignisse wie eine Krankheitsdiagnose, der Verlust der Arbeitsstelle, die Trennungsentscheidung der Partnerin, die ein bisher voller Vertrauen geführtes Leben auf den Kopf stellen, das Gefühl nähren, nie mehr Vertrauen ins Leben, in andere, in sich selbst aufbauen zu können. Wie lässt sich Vertrauen aufbauen, wenn man nicht erfahren hat, dass Vertrauen die Lebensgestaltung leichter und angenehmer werden lässt bzw. wenn man sich aus Mangel an Vertrauen angewöhnt hat, auf Worst-Case-Szenarien zu fokussieren, in beeinträchtigenden Gefühlen und Gedanken gefangen zu sein und dadurch alles so anstrengend oder frustrierend wird?

Lässt sich Vertrauen aufbauen? Kann man Vertrauen zurückgewinnen, wenn es verletzt, abhandengekommen ist? Ja. Vertrauen lässt sich nicht abzwingen, aber mit ganz konkreten Schritten ermöglichen – ähnlich, wie man eine Pflanze setzt und diese gut pflegt, sodass sie gedeihen kann. Wachsen wird sie selber.

Dazu ist es nützlich, sich zuerst zu vergegenwärtigen, was Vertrauen ist bzw. was eine vertrauende Person kennzeichnet im Gegensatz zu einer Person, deren Vertrauen abhandengekommen ist.

 

Was ist Vertrauen?

In meinem Buch „Neuanfänge – Veränderung wagen und gewinnen“ gehe ich ausführlich darauf ein, was ich unter Vertrauen verstehe und was Vertrauen nicht ist. In Kürze: Ich verstehe unter Vertrauen ein inneres Wissen, „anzukommen“. Ein inneres Wissen,

  • dass wir über Fähigkeiten, Talente, Kenntnisse, Erfahrungen und Kreativität verfügen, die uns in die Lage setzen, unser Leben zu gestalten und Schwieriges zu meistern;
  • dass es immer wieder Möglichkeiten, Lösungen, positive Wendungen gibt;
  • dass es möglich und nie zu spät ist, Wichtiges zu erreichen;
  • dass es nicht ein Dauerzustand sein sollte, in Druck, Stress, Angst, Verunsicherung, Kampf zu verharren und dass es Wege gibt, einen solchen Modus zu verlassen;
  • dass es genügt, genau hinzuschauen, was in einer Situation spielt, einen motivierenden Horizont zu entwickeln – ein inneres Bild, was man erreichen will –, entschlossen in dessen Richtung aufzubrechen und zugleich offen zu bleiben für das, was unterwegs geschieht.

Psychologisch verstehe ich Vertrauen als positive Erwartungshaltung, die ermöglicht, das Leben aktiv zu gestalten und zugleich offen zu bleiben für Möglichkeiten, Lösungen und Wendungen, die uns das Leben oft auf überraschende Weise bietet.

So verstanden ist Vertrauen alles andere als naiv oder passives Hoffen auf bessere Zeiten („Ich sitze jetzt im Schlamassel, aber es wird schon irgendwie gut kommen“). Es ist alles andere als eine Fixierung oder ein Erzwingen wollen bestimmter Resultate („Ich vertraue darauf, dass es genau so geschieht, wie ich mir das jetzt vorstelle“). Vertrauen ist auch keine Risikogarantie; Vertrauen verhindert nicht, dass man mit Situationen konfrontiert werden kann, die einen aus dem Gleichgewicht bringen. Vertrauen ermöglicht aber, solchen Situationen anders zu begegnen als in Panik, erschöpfender Anstrengung oder Hilflosigkeit. Vertrauen ist verbunden mit der Bereitschaft, sich Stürmen zu stellen im Wissen darum, dass es Wege und Ufer gibt. Schließlich: Vertrauen ist auch nicht etwas Mystisches, etwas, was spirituell begabten Menschen vorbehalten ist oder Menschen, die eben das Glück hatten, auf natürliche Weise Vertrauen aufzubauen.

 

Abhandengekommenes Vertrauen vs. Vertrauen ins Gelingen: Zwei Kreisläufe in Denken, Fühlen und Verhalten

Im Kern sind Vertrauen bzw. abhandengekommenes Vertrauen mit zwei unterschiedlichen Kreisläufen in Aufmerksamkeitsfokus, Denken, Fühlen, Verhalten sowie Interpretation von Erfahrungen verbunden. Die Vergegenwärtigung dieser beiden Kreisläufe gibt die Basis, auf der Vertrauen mit ganz konkreten Schritten aufgebaut werden kann.

Eine Person, deren Vertrauen abhandengekommen ist,

  • fokussiert die Aufmerksamkeit auf Aspekte, die Vertrauen untergraben, also z.B. die Angst, bei einem Konzert zu versagen oder die Überzeugung, dass das Leben nach einer Krankheitsdiagnose nicht mehr lebenswert ist.
  • Auslöser sind meist Ereignisse mit einer starken emotionalen Ladung, also z.B. die Erfahrung, in einem entscheidenden Moment nicht die erwünschte Leistung zu erbringen, die Kritik oder Ablehnung einer Person, die Konfrontation mit etwas, was das bisherige Leben aus dem Lot bringt (eine Krankheitsdiagnose, Verlust eines nahestehenden Menschen oder des Jobs, die Mitteilung der Partnerin, dass sie die Beziehung beenden will usw.).
  • Bleibt eine Person in den negativen Gefühlen solcher Erfahrungen hängen, beeinträchtigen diese mit der Zeit Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Verhalten – und es kommt zu „mehr desselben“. Gefühle wie Angst, Sinnlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht, Wut beeinflussen das Denken („Wie bekomme ich nur diese Angst in den Griff“, „Das schaff ich nie“, „Darüber werde ich nie hinwegkommen“, „Warum nur ich?“ usw.) und das Verhalten (übermäßige Anstrengung, Kontrolle, übermäßiger Perfektionismus, Klage, Beschuldigung, Wiederholung der immer selben Geschichte, „Beratungsshopping“, Passivität, Resignation).
  • Es kommt immer mehr zu einer Fokusverengung – aus dem Blick geraten die eigenen Ressourcen, Ideen, Erfahrungen. Der Kontakt zu sich selbst und zur eigenen Kreativität ist erschwert.

Neurobiologisch ist eine Person, deren Vertrauen abhandengekommen ist, im Stress-/Survival-Modus – Gehirn und Körper gehen ins Notfallprogramm. Damit wird noch schwerer, was jetzt so wichtig wäre: Distanz, Über- und Weitblick, Entspannung, Zugang zu sich selbst, zu Ressourcen, die helfen würden, Situationen anders anzugehen und Vertrauen zurückzugewinnen.

Anders sieht es aus bei einer Person, die im oben beschriebenen Sinn auf natürliche Weise vertraut, Situationen positiv beeinflussen und Wichtiges erreichen zu können. Eine solche Person

  • kann auch mit Schwierigkeiten konfrontiert werden; sie schaut dann genau hin, verschafft sich Überblick über wichtige Fakten und überprüft, ob ihre Sicht- und Denkweisen hilfreich sind;
  • fokussiert auf Möglichkeiten und Lösungen und entwickelt einen motivierenden Horizont, ein Bild, was sie erreichen möchte – damit richtet sie den Blick über das Schwierige, Belastende hinaus;
  • übernimmt Regie, trifft selbstverantwortliche Entscheidungen und setzt (neue) Schritte um;
  • entwickelt Strategien, die den Aufbau von Vertrauen zusätzlich unterstützen, etwa: Sich Fachwissen aneignen; sich damit auseinandersetzen, was hilft, in kritischen Situationen auf Kurs zu bleiben; eine „Notfallliste“ zusammenstellen für kritische Momente; sich mit Biografien von Menschen auseinandersetzen, die ähnlich Schwieriges gemeistert haben; Tagebuch führen zu Erfolgserlebnissen; Entspannungsübungen; mentale Einstimmung auf die Bewältigung schwieriger Momente usw.;
  • bleibt offen, ist nicht fixiert auf bestimmte Resultate;
  • nimmt positive Erfahrungen und Erfolgserlebnisse wahr und kann sich darüber freuen;
  • nimmt negative Erfahrungen und Rückschläge als Anlass, erneut genau hinzuschauen und zu klären, ob sie etwas übersehen hat, besser machen kann oder ob es darum geht, weiterzugehen und dranzubleiben;
  • erfährt, dass positive Erfahrungen und Erfolgserlebnisse ihr Vertrauen ins Gelingen sowie die Motivation, weiterzugehen, stärken;
  • erfährt, dass Vertrauen zunehmend zu einer natürlichen inneren Realität wird und dass sie dadurch immer leichter vorankommt und bessere Resultate erzielt.

Neurobiologisch ist eine Person, die auf diese Weise Vertrauen stärkt, im (Re)Creation-Modus – Gehirn und Körper können regenerieren, entspannen und damit besser arbeiten. In diesem Modus ist eine Person entspannt, hat Zugang zu ihren Ressourcen, ihrer Kreativität, ihren Erfahrungen. In diesem Modus kann ein Musiker auch unter Druck seine Talente, musikalische Professionalität und Erfahrung optimal zum Ausdruck bringen. Er ist dann fokussiert auf das Musizieren – statt auf die Angst, zu versagen.

 

Vertrauen aufbauen: Anregungen zur Umsetzung

Und was heisst das jetzt für Menschen, denen Vertrauen abhandengekommen ist und die wissen wollen, wie sie Vertrauen zurückgewinnen können? Einige Anregungen:

  • Nicht: Du musst nur Vertrauen haben! Menschen mit angeschlagenem Vertrauen können damit nichts anfangen – die Erinnerung „Du musst nur vertrauen“ verstärkt häufig nur Druck und Versagergefühle. Wenn Vertrauen abhandengekommen ist, gibt es nichts anderes, als die folgenden Punkte zu berücksichtigen.
  • Verstehen, wie Vertrauen entsteht. Und verstehen, was passiert, wenn Vertrauen abhandengekommen ist. Die Vergegenwärtigung der oben skizzierten Kreisläufe hilft, zu verstehen, dass Vertrauen nicht aus dem Himmel geflogen kommt oder schicksalshaft verschwindet, sondern gekoppelt ist an Aufmerksamkeitsfokus, Denken, Fühlen, Handeln und Umgang mit Erfahrungen. Vertrauen lässt sich nicht „machen“. Aber ermöglichen. Indem man den Fokus von Umständen weg- und auf die Wahrnehmung dieser Umstände, auf Verhalten und Resultate hinlenkt, hat man die Basis, um destruktive Muster zu unterbrechen und neue einzuüben. Wir können Umstände nicht immer ändern, aber immer bestimmen, wie wir Umständen begegnen.
  • Genau hinschauen 1: Was sind wichtige Fakten? Welche Fakten begünstigen Vertrauensverlust vor einem Konzert (z.B. besonders wichtiger Auftritt, Bemerkungen anderer, weitere Umstände)? In welchen Momenten ist dies stärker? Wann weniger stark? Gibt es etwas, was ich an meiner musikalischen Professionalität verbessern kann/muss? Oder: Was hat es mit dieser Krankheit auf sich? Wie genau beeinflusst sie meine Lebenssituation? Was sind die größten realen Belastungen für mich? Was sind Behandlungsmöglichkeiten? Was haben Menschen zu erzählen, die trotz dieser Krankheit Lebensqualität erhalten oder vielleicht sogar geheilt sind? Was kann ich von ihnen lernen?
  • Genau hinschauen 2: Was sind dominante Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen? Was genau triggert die Angst vor dem Bühnenauftritt? Mit welchen Erfahrungen ist dies verbunden? Welche Überzeugungen sind im Spiel? Auch: Welche Ausnahmen gibt es? Wann ist die Angst kleiner oder abwesend? Oder: Was genau bewirkt das Gefühl von Sinnlosigkeit nach der Krankheitsdiagnose? Befürchte ich, meine berufliche Tätigkeit aufgeben zu müssen? Oder bin ich wütend, dass das Leben einen Strich durch ein gutes Leben macht? Habe ich das Gefühl, dass es nur noch bergabwärts gehen wird? Und: Was bewirkt dies? Indem Sie genau hinschauen und benennen, was spielt, erkennen Sie Muster und können Regie übernehmen. Nicht, indem Sie sich in einer Negativspirale verlieren, sondern indem Sie den folgenden Schritt machen.
  • Perspektivenwechsel: Blick auf eine Situation, in der man voller Vertrauen ist. Wie wäre eine Situation, in der man als Musiker „angeschlossen“ ist an die Freude an der Musik, an der kunstvollen Struktur einer Komposition, an der Liebe für einen Komponisten, an die Momente, in denen die viele Fleißarbeit zur Musik wird, fließt? Oder: Wie würde eine Situation aussehen, in denen das Leben trotz Krankheitsdiagnose lebenswert ist?
  • Mental üben, als wäre man bereits die Person mit Vertrauen. Wie würde ich als Musiker, der mit gesunder Aufregung und Freude die Bühne betritt und sich darüber freut, dass er Menschen etwas Schönes weitergeben kann, jetzt vorgehen? Wie würde ich mich auf einen Auftritt vorbereiten? Was würde ich mir sagen? An welche Situationen würde ich mich erinnern? Welches Motto würde mich motivieren, ruhig werden lassen? Oder: Wie würde ich den heutigen Tag gestalten als Person, die Lebensqualität hat mitten in allem, was diese Krankheit mit sich bringt?
  • Auf die Bühne! Nichts ist besser für den Aufbau von Vertrauen, als die Erfahrung, dass es möglich ist, aus Negativspiralen auszubrechen, neue, andere Schritte zu machen und Erfolgserlebnisse zu bewirken.

Ich wünsche Ihnen Wissen und Entschlossenheit, die ermöglichen, destruktive Spiralen zu unterbrechen. Ich wünsche Ihnen den Mut, neue Schritte zu wagen. Und ich wünsche Ihnen Erfolgserlebnisse und die Erfahrung, wie schön es ist, voller Vertrauen auch Anspruchsvolles anzugehen.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

 


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