Wenn es mir gut geht, geht es allen besser

Grüezi – Guten Tag!

Willkommen zurück nach der Newsletter-Sommerpause! Der schöne Sommer hat Sie hoffentlich nicht nur ins Schwitzen gebracht, sondern auch mit Momenten beschenkt, in denen es Ihnen so richtig gut ging. Es ist essenziell, dass es uns gut geht. Wie man auch nach dem Urlaub „gut gehen“ bewirken kann, darum geht es in diesem Newsletter.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Wenn es mir gut geht, geht es allen besser

Anfangs Juni war ich eingeladen, anlässlich der Mitgliederjahresversammlung einer Patientenorganisation ein Referat zu halten. Thema: „Wenn es mir gut geht, geht es allen besser.“ Der Fokus lag auf dem Umstand, dass häufig „vergessen“ geht, wie wichtig es ist, dass es auch und gerade den Angehörigen von Menschen mit dieser Krankheit gut geht.

Das ist bekannt. Der Fokus liegt begreiflicherweise häufig auf der Krankheit. Auf der Person, die die Krankheit hat. Auf Umständen. Auf Alltagspraktischem.

Dieses Phänomen spielt auch in anderen Kontexten. Viele Menschen sind mit der Aufmerksamkeit bei Umständen, bei anderen Personen, bei zu Bewältigendem. Statt eine Krankheit ist es dann vielleicht die Arbeit. Statt der Frage, wie der Alltag bewältigt werden kann, wenn der Partner oder die Partnerin krankheitsbedingt vieles nicht mehr kann, steht dann etwa die Frage im Zentrum, wie man Arbeit, Familie, Haushalt, soziales Leben unter einen Hut bringt und finanziell über die Runden kommt. Obwohl es einen „Wellness“-Hype gibt, der tüchtig vermarktet wird, können viele Menschen nicht sagen: „Es geht mir gut“.

Daher nehme ich dieses Thema hier auf: „Wenn es mir gut geht, geht es allen besser.“

Dass „gut gehen“ wichtig ist für die körperliche, mentale und seelische Gesundheit, ist bekannt. Die 300 Personen, zu denen ich im Referat gesprochen habe, wissen das auch.

Warum bleibt denn das „gut gehen“ oft auf der Strecke? Warum ändern dies auch „Wellness“-Momente häufig nur kurzfristig?

„Gut gehen“ ist mehr als ein „Feel good“. Es ist mehr als sich ab und zu eine Verschnaufpause zu gönnen oder Entlastungsmöglichkeiten zu suchen. Verständlicherweise können Angehörige von Menschen mit einer Krankheit daher oft wenig anfangen mit gut gemeinten Tipps wie „Du musst Hilfe in Anspruch nehmen“, „Du musst schauen, dass Du etwas Gutes für Dich selbst tust“, „Du musst nicht auch noch Enkelkinder hüten“. Oft fühlen sie sich dadurch vielmehr unverstanden. Oder nerven sich. Oder kommen noch zusätzlich in Stress: „Jetzt muss es mir auch noch gut gehen!“

„Gut gehen“ ist Ausdruck einer Lebenshaltung. Es ist Ausdruck einer Entscheidung und konstanten Übens, sich für positive Entwicklung einzusetzen. Was zur Erfahrung führt, immer häufiger am Morgen aufstehen und sagen zu können: „Es geht mir gut. Auch wenn längst nicht alles gelöst ist. Auch wenn es vieles zu bewältigen gibt. Ich bin in eine Richtung unterwegs, hinter der ich stehe. Ich sehe Fortschritt. Ich bin in Kontakt mit mir selbst. Ich erfahre häufiger, dass ich grundlos heiter bin. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf das, was ich bewirken kann – ohne Belastendes auszublenden, Resultate abzwingen zu wollen oder mich auszupowern. Ich gehe zuversichtlich in den Tag.“

„Gut gehen“ heißt, das Leben zu gestalten – statt es zu erdulden oder zu erleiden oder sich durchzukämpfen.

Das ist nichts anderes als Veränderung zu wagen.

Viele Menschen haben Veränderung ungern. Sie halten fest an dem, was sie sich ein Leben lang angewöhnt haben – vertrauten Anschauungen, Gefühlen und Verhaltensweisen. Das kann gut gehen: Wer sich angewöhnt hat, immer wieder Möglichkeiten zu sehen, sich dafür einzusetzen und erfahren hat, dass das immer wieder zu Erfolgserlebnissen führt, verfügt über eine wichtige Ressource – gerade in Situationen wie der, dass man es plötzlich mit einer Krankheit zu tun bekommt.

Doch oft läuft es anders. So äußerte sich in einem Seminar, das ich für die gleiche Patientenorganisation gab, eine Teilnehmerin: „Seit mein Mann krank ist, muss ich immer mehr übernehmen. Wir leben in einem großen Haus. Langsam wird es mir zu viel. Aber was kann ich tun?! Ich muss doch, ich habe keine Wahl, es wird von mir erwartet.“ Ich ging auf sie zu und fragte: „Wer erwartet das?“ Sie schaute auf den Herrn neben ihr und sagte „Er“. „Er“ war ihr Mann. So bleibt das „gut gehen“ auf der Strecke. Das Festhalten an unüberprüften Sicht-, Denk-, Verhaltensweisen und den damit verbundenen Gefühlen kann bald einmal zum eigentlichen Problem werden. Das wird sich auch nicht ändern, wenn man sich zwischendurch eine Pause gönnt. Es bleibt nichts anderes, als in den sauren Apfel zu beißen, genau hinzuschauen und neue, andere Sicht-, Denk- und Verhaltensweisen einzuüben. Und aufzuhören, sich von den Gefühlen, die mit dem Gewohnten verbunden sind, leiten zu lassen.

Die gute Nachricht: Man kann lernen, dass es einem gut geht. Man kann lernen, Veränderung zu wagen. Man kann lernen, auch in real schwierigen Situationen so vorzugehen, dass man nicht nur Erfolgserlebnisse erzielt, sondern auch, dass man von innen heraus sagen kann „Es geht mir gut“. Ohne reale Probleme unter den Tisch zu wischen.

Eine Seminarteilnehmerin in einem anderen Seminar für die gleiche Patientenorganisation erzählt: Auch ihr wuchs langsam die Betreuung ihres kranken Mannes über den Kopf. „Ich wurde nicht nur müde. Sondern auch unzufrieden. Ich dachte ‚Ich bin doch Partnerin, nicht Pflegerin!‘“ Und sie ist aktiv geworden. Sie ist mit ihrem Mann zusammengesessen, und gemeinsam haben sie Ideen gesammelt, wie sie hier vorgehen konnten. Sie kamen auf die Idee, dass der Mann jeweils am Freitag Mittagessen kocht. Er fand das auch eine gute Idee. Am Anfang ging es sehr langsam. Doch sie blieben dran. Und sie erzählt im Seminar: „Heute habe ich den ganzen Freitag frei! Ich habe einfach Zeit für mich. Mein Umfeld weiß das und ruft dann nicht an. Das gibt mir so viel Energie. Und die Freude wirkt sich auf unsere Beziehung aus. Es geht uns beiden besser.“

Diese Frau hat erkannt, dass sie am Punkt war, in Erschöpfung und Unzufriedenheit zu geraten. Statt „mehr desselben“ (Denkens, Verhaltens, Erfahrens) zu produzieren und sich ab und zu mit einem „Wellness“-Moment fürs Weitermachen aufzupeppen, brachte sie den Mut auf, Neues zu wagen. Gerade dadurch kam ein positiver Prozess in Gang. Nicht nur der freie Freitag bewirkt ihr Gefühl „es geht mir gut“, sondern in erster Linie die Erfahrung, dass es sich lohnt, nach neuen Wegen zu suchen, wenn die bisherigen unbefriedigend sind.

„Gut gehen“ ist lernbar. Man kann jederzeit damit anfangen. Es ist nie zu spät.

 

„Gut gehen“ lernen – mit dem Mut, zu gestalten statt zu verharren

Wie vorgehen? Einige Anregungen:

  • Genau hinschauen. Es beginnt damit, innezuhalten und zu schauen: „Wie bin ich unterwegs?“ Und sich zu fragen: Fördert oder beeinträchtigt meine Art, wie ich den Alltag gestalte, das „gut gehen“?
  • Entscheiden: Die Seminarteilnehmerin im zweiten Beispiel hat realisiert: „Wenn ich so weiter mache, kommt es nicht gut.“ Sie hat sich entschieden: „Ich will nicht weiter so.“, „Ich will Partnerin sein.“, „Ich will mich nicht aufopfern, erschöpfen; niemand hat etwas davon.“ Wer das „gut gehen“ lernen und üben will, kommt nicht um eine solche Entscheidung herum. Man kann nicht „halb schwanger“ sein. Man kann sich nicht durchleiden im gewohnten Trott, diesen ab und zu unterbrechen mit einer kleinen Wohltat und erwarten, dass man so zu der oben erwähnten grundlosen inneren Heiterkeit kommt. Das ist neurobiologisch erklärbar. Unser Gehirn und unser Körper können nicht gleichzeitig auf „Überleben“ (Fokus auf „was alles muss“) und auf „Wohlbefinden“, „Entwicklung“ ausgerichtet sein. Es ist entweder oder. Mein Mann pflegt zu sagen: „An einer T-Kreuzung kann man nicht geradeaus.“
  • Sicht- und Denkweisen, Gefühle und Verhaltensmuster erkennen, die Veränderung in Richtung von „gut gehen“ beeinträchtigen oder verunmöglichen. Viele Menschen haben das Gefühl, sie seien egoistisch, wenn sie sich um ihr Wohlbefinden kümmern. Viele erwarten, dass sich erst Umstände ändern müssen, damit es ihnen gut gehen kann. Ein Trugschluss. Umstände ändern sich, weil man anfängt, ihnen anders zu begegnen. Wiederum andere Menschen opfern sich für andere auf. Das mag kurzfristig befriedigend sein, macht aber abhängig und ist für die, denen „geholfen“ wird, nicht wirklich schön. Viele sind am „Feuerlöschen“: „Nur noch dieses Projekt, dann kann ich für mich sorgen.“ Häufig kommt dann nur das nächste Projekt. Es gilt, genau hinzuschauen und zu erkennen: Welche Anschauungen, Überzeugungen, Verhaltensweisen tragen dazu bei, dass Dinge so sind wie sie sind? Setzen sie mich in die Lage, mich so zu entwickeln, dass es mir immer mehr von Grund auf gut geht?
  • Blick nach vorne. Statt um gegenwärtige Belastungen zu drehen: Wie sieht eine Situation aus, in der ich von Herzen sagen kann „Es geht mir gut“? Im Fall der Seminarteilnehmerin im ersten Beispiel etwa: Wie sieht eine Wohn-/Lebenssituation aus, hinter der ich selbst stehe? Wann würde ich nicht mehr sagen „Es wird mir alles zu viel“? Wie sieht eine Situation aus, in der ich mit der Krankheit meines Mannes leben kann ohne das Gefühl zu haben, selbst auf der Strecke zu bleiben? Oft ist mehr möglich als man denkt. Oft gibt es kreative Lösungen. Wenn man sich darauf ausrichtet.
  • Gefühle einbeziehen. Im Blick nach vorne sind auch Gefühle einzubeziehen: Wie will ich mich fühlen? Unabhängig von den Umständen? Wer übt, sich gefühlsmäßig so in den neuen wünschenswerten Status zu versetzen, als wäre dieser schon erreicht, bewirkt in Gehirn und Körper positive Prozesse. Es wird quasi biologisch der Boden gelegt, auf dem das Neue wachsen kann.
  • Schritte umsetzen. Die Seminarteilnehmerin im zweiten Beispiel hat mit zwei ganz konkreten Schritten angefangen: Sie hat ihren Mann einbezogen. Und sie haben die Idee umgesetzt, dass er am Freitag Mittagessen kocht. Wenn Sie lernen und üben wollen, einen Zustand des „gut gehens“ zu erreichen, können Sie mit ganz konkreten Schritten dazu beitragen, dass ein entsprechender Prozess in Gang kommt.
  • Vertrauen aufbauen. Diese Seminarteilnehmerin hat erfahren, dass etwas Positives in Gang kam. Das hat ihr Mut gemacht, den begonnenen Prozess fortzusetzen. Und das Vertrauen gestärkt, dass sie auch einer objektiv belastenden Situation nicht ausgeliefert ist. Dass sie mitgestalten kann. Dass das Leben lebenswert bleiben kann. Dass sie gewinnen kann. Dass es ihr gut gehen kann. Und dass es damit auch ihrem Mann besser geht. Das Beispiel zeigt übrigens auch, dass man sich gegenseitig unterstützen kann, dass es einem gut geht – für alle Beteiligten ein Gewinn.

In diesem Sinn wünsche ich, dass Sie Ihr ganz persönliches „gut gehen“ pflegen bzw. entwickeln. Ich wünsche Ihnen den Mut, aus allenfalls beeinträchtigenden Denk- und Verhaltensgewohnheiten auszusteigen und solche einzuüben, die Sie erfahren lassen, dass etwas Positives in Gang kommt.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

 

 


Hier können Sie

Hier erfahren Sie mehr über