Wenn Gefühle Entwicklung erschweren

Grüezi – Guten Tag!

Hier bin ich wieder, zurück aus Sri Lanka, wo ich ein paar Wochen an meinem neuen Buch gearbeitet habe. Es freut mich, Sie heute nach diesem Newsletter-Unterbruch wieder als Lesende zu begrüßen! Eine Begegnung in Sri Lanka hat mich zum Thema dieses Newsletters veranlasst: Wie geht man um mit Gefühlen, die Entwicklung erschweren?

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Eine Begegnung…

Wie Sie vielleicht wissen, ist in Sri Lanka Buddhismus omnipräsent. Das Leben ist stark davon geprägt. Es ist interessant, dass es zwischen aller Art Kulturen und Ländern immer wieder Parallelen und Anknüpfungspunkte gibt. Und so möchte ich ein Gespräch, das ich zufälligerweise mit einem buddhistischen Mönch hatte, verbinden mit einer Thematik, die sehr wichtig ist, wenn es um Umgang mit Veränderung geht.

Dieser Mönch öffnete mir freundlicherweise die Türe zum Inneren eines wenig besuchten, in einen Felsen gehauenen kleinen Tempels. Es entwickelte sich ein angeregtes Gespräch. Er erzählte mir, warum und wie er buddhistischer Mönch geworden war. Wir plauderten über Grundanliegen des Buddhismus. Und er erzählte mir, dass ein Kollege ausgetreten war, weil er es zu schwierig fand, Führung über seine Emotionen zu übernehmen.

Führung übernehmen über die eigenen Emotionen. Ein wichtiges Thema.

Ich mache die Brücke zu meiner Arbeit. Ich sehe Menschen, die sich in ihrer Entwicklung blockieren, weil sie hängen bleiben in Frustration über Geschehenes. Die mental nicht darüber hinwegkommen, dass ihr Partner die Trennung veranlasst hat. Die sich schämen, weil sie mit einer Krankheitsdiagnose konfrontiert sind und in der Folge sozialen Kontakt meiden. Die sich festbeißen in Ärger über den unfähigen Chef. Die mutlos geworden sind und sich nicht zutrauen, Neues zu wagen. Die alles in Zweifel ziehen. Die neidisch sind auf andere, die es vermeintlich besser haben. Die Situationen nachtrauern, die nicht mehr sind. Die in einer Stressspirale drehen. Oder in Resignation oder Depression festgelaufen sind.

Wir können nicht neue positive Resultate erzielen, wenn wir an Gefühlslagen festhalten, die das verhindern.

(Wie) kann man Führung übernehmen über Emotionen? (Wie) kann man lernen, Gefühlslagen zu verändern, die einem das Leben schwer machen?

Was ist Ihre spontane Antwort auf diese Frage?

Ich sehe spannende Parallelen zwischen dem, was Buddha vor zweieinhalbtausend Jahren schon beobachtete, lehrte und selbst umsetzte und neuesten neurobiologischen Einsichten.

Buddha hatte beobachtet, dass menschliches Leiden stark beeinflusst wird durch Unwissen und Emotionen, die Menschen festlaufen lassen. Und er hat hier angesetzt: Lernen, Emotionen zu erkennen und mental Führung darüber zu übernehmen.

Ein zentrales Thema auch in Psychologie und Neurobiologie: Einerseits die Erkenntnis, dass Emotionen stark beeinflussen, wie wir leben, was wir entscheiden, tun und bewirken. Andererseits die Frage: Können wir lernen, Führung zu übernehmen über unsere Gefühlslagen?

Es gibt zwei Tendenzen: Bei der einen wird der Standpunkt vertreten, dass wir kaum Kontrolle haben über unsere Emotionen bzw. Gefühlslagen höchstens beschränkt ändern können. Bei der anderen wird davon ausgegangen, dass wir lernen können, Emotionen und Gefühle zu regulieren und zu verändern.

Ja, oft werden Gefühlslagen zum Autopiloten: Wir haben uns so daran gewöhnt, dass es uns gar nicht mehr bewusst ist. Schön, wenn wir uns an Gefühle wie Fröhlichkeit, Freude, Gelassenheit, Mut gewöhnt haben. Doch viele gewöhnen sich eben auch an Gefühle, die sie festlaufen lassen. Das ist heute neurobiologisch erklärbar: Gefühle sind sozusagen das Resultat von Erfahrungen, Wahrnehmungen und der Art, wie wir Erfahrungen interpretieren. Biologisch lässt sich die Vielfalt unterschiedlicher Gefühle in zwei Gruppen einteilen: Es gibt Gefühle, die mit Gefahr, Stress und Negativem verbunden sind. Und es gibt Gefühle, die mit Entspannung, Entwicklung und Positivem verbunden sind. Gefühle wie Angst oder Aggression sind biologisch gemeint, um bei Gefahr überleben zu können. Problematisch werden sie erst, wenn sie zum Dauerzustand werden. Unser Körper ist nicht dafür eingerichtet, andauernd in einem Zustand von Angst, Wut, Stress zu sein; es belastet auf Dauer unsere Gesundheit. Viele Menschen gewöhnen sich aber solche Zustände an. Wer sich daran gewöhnt hat, unzufrieden zu sein, gestresst, verärgert, mutlos usw., dessen Gehirn und Körper haben sich neurologisch und chemisch darauf eingestellt: Es werden immer wieder die gleichen neuralen Netzwerke aktiviert, eine Art „Leitungen“, über die Nervenzellen Impulse übertragen. Je häufiger eine „Leitung“ aktiviert wird, desto automatisierter laufen die damit verbundenen Prozesse ab. Und es werden immer wieder die gleichen chemischen Prozesse ausgelöst, etwa Hormone ausgeschüttet, die mit diesem emotionalen Status verbunden sind. Jede Änderung ist eine Störung des neurobiologischen Gleichgewichts in Gehirn und Körper. Das erklärt, warum es sich oft nicht gut anfühlt, wenn wir etwas verändern wollen. Wenn wir etwa immer wieder empfindlich reagieren auf Kritik und uns vornehmen, in Zukunft in Ruhe zu schauen, was es mit dieser Kritik auf sich hat und wie wir vorgehen wollen, dann wird es sich am Anfang unangenehm anfühlen, nicht den gewohnten Impulsen zu folgen. Es ist als ob wir von einer Sucht loskommen wollen. Wir haben Entzugserscheinungen. Das erklärt, warum viele Menschen guten Mutes Neues wagen, doch wieder ins Alte zurückfallen. Verständlich, dass viele der Ansicht sind, dass sie wenig daran ändern können.

Zugleich: Wir können lernen, Führung über unsere Emotionen/Gefühle zu übernehmen. Das zeigen nicht nur buddhistische Mönche, sondern auch Menschen in unserem ganz gewöhnlichen Alltag, die Mut und Entschlossenheit aufbringen, zu lernen, destruktive Gefühlsmuster zu erkennen und abzubauen. Und so Entwicklungsschritte machen. Auch das lässt sich heute neurobiologisch erklären. Wurde bis vor noch nicht so langem angenommen, dass das menschliche Gehirn (wo unsere Gefühlslagen ihren Ursprung haben) im Erwachsenenalter nicht mehr veränderbar ist, so wissen wir heute, dass das nicht so ist. Unser Gehirn bleibt ein Leben lang veränderbar. D.h. die neurologischen und chemischen Prozesse, die mit unserem Denken, Fühlen und Verhalten einhergehen, sind veränderbar. Wenn das Gehirn wiederholt neue Impulse erhält, fängt es an, sich darauf einzustellen. D.h. es ist möglich, Gefühlslagen, die uns das Leben schwer machen, zu verändern. Das ist doch sehr hoffnungsvoll!

Und wie ist es möglich, zu lernen, Gefühlslagen zu ändern? Wie ist es möglich, z.B. entspannter zu werden, zuversichtlicher, fröhlicher, zufriedener, freier, gelassener, kreativer?

 

Wie können wir Führung übernehmen über Emotionen / Gefühlslagen?

Auch hier hat Buddha schon gelehrt und praktiziert, was gegenwärtige Ansätze auszeichnet, die zum Ziel haben, Menschen zu befähigen, Gefühlslagen zu beeinflussen: Bewusstwerdung und Übung. Das verbindet heutige Ansätze, egal, ob es um Gefühlsregulierung geht (Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen bzw. zu motivieren, z.B. Julius Kuhl), Training emotionaler Kompetenzen (z.B. Matthias Berking), rational-emotive Verhaltenstherapie (Albert Ellis). Übrigens weiß man heute auch, dass Meditation, also das, was Menschen seit Jahrtausenden praktizieren, eine sehr effektive Methode ist, die ebenfalls ermöglicht, Gefühlslagen positiv zu verändern.

Vier Schritte sind essenziell:

  • Beobachten, erkennen, erkunden. Das ist vielleicht der wichtigste Schritt. Solange wir mit „Autopilot“ unterwegs sind, können wir nichts ändern. Wenn wir etwas ändern wollen, kommen wir nicht drumherum, genau hinzuschauen: Was sind Stimmungen, die ich immer wieder habe und die mir das Leben schwer machen? Etwa „Wenn ich ehrlich bin, bin ich unzufrieden mit meiner Lebenssituation“. Erkunden Sie: Was macht Sie unzufrieden? Was sind immer wieder Auslöser? Auf welche Erklärungen greifen Sie zurück? Wie verhalten Sie sich? Indem Sie beobachten, stellen Sie den Autopiloten ab. Sie können Dinge erkennen. Das ist die Basis, zu verändern.
  • Lernen, destruktive Gefühlslagen zu unterbrechen. Vertraute Gefühlslagen sind wie Programme, die automatisiert ablaufen. Neurobiologisch werden immer wieder die gleichen neuralen Netzwerke und chemischen Prozesse aktiviert. Um bei „Unzufriedenheit“ zu bleiben: Wenn ein Impuls kommt – etwa ein Kollege den schönen Auftrag erhält –, wird das vertraute Programm aktiviert. Wieder die gleichen Gedanken, Gefühle, Impulse, auch körperlichen Reaktionen, die mit dem Gefühl „Unzufriedenheit“ verbunden sind. Ein wichtiger Schritt ist es, zu erkennen, wenn das Programm einsetzt und dieses zu unterbrechen. Neurobiologisch wird so das neurale Netzwerk „Unzufriedenheit“ unterbrochen. Sammeln Sie Ideen, wie Sie vorgehen können. Legen Sie sich etwa einen Satz zurecht, etwa: „Aha, da ist es wieder. Stopp.“ Oder ein kleines Ritual, etwa: Tief durchatmen, aufstehen, das Fenster öffnen, den Körper dehnen. Übrigens: Grübeln über Ihre Gefühle verstärkt diese. Sie „nähren“ das Muster.
  • Basis legen für Neues. Setzen Sie sich damit auseinander, wie Sie sich anders fühlen wollen. Wie wäre es, wenn Sie nicht unzufrieden wären? Was würden Sie dann fühlen, denken und tun? Was würde sich ändern? Wie würden Sie dann vorgehen in Situationen, in denen normalerweise das „Programm“ abläuft? Indem Sie Antworten auf diese Fragen entwickeln und sich mental vorstellen, wie Sie entsprechend anders denken, fühlen und handeln, legen Sie die Basis, dass sich ein neues „Programm“ entwickeln kann.
  • Trainieren. Es ist wie wenn Sie lernen, Klavier zu spielen. Ohne Fingerübungen und tägliches Üben entsteht nichts Neues. Pflegen Sie Ihr neues inneres Bild, wie Sie sich fühlen wollen und wie Sie sich entsprechend anders verhalten können. Und üben Sie dies.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie erfahren, dass es möglich ist, Gefühlslagen zu erkennen, zu stoppen und zu ändern. Schritt um Schritt. Dass Sie erfahren, dass Neues entsteht. Jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung ist befreiend und ermutigend. Dazu brauchen Sie nicht buddhistischer Mönch zu sein.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

 

 


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