(Wie) kann man andere entstressen?

Grüezi – Guten Tag!

Wie geht man vor, wenn man es mit Menschen in Stress zu tun bekommt? Eine Frage, die nicht nur anlässlich der aktuellen Situation von Interesse sein dürfte.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

Wenn wir es mit Menschen in Stress zu tun bekommen…

Es gibt aktuell viele Anlässe, aus dem Häuschen zu geraten. Individuell und kollektiv.

Egal, ob Menschen zu viel am Kopf haben, nicht wissen, wie sie mit der Flut an Meinungen umgehen sollen, sich Sorgen machen oder ängstigen um die Zukunft, sich ratlos, ohnmächtig, hilflos fühlen, aggressiv werden, sich in Konflikte verstricken oder real in ihrer Existenz bedroht sind: Die aktuelle Situation ist angespannt.

Schön, wenn Sie zu den Menschen gehören, die ruhig bleiben, Überblick bewahren, immer wieder Lösungen und Möglichkeiten finden und genügend Energiequellen haben, um gut durch diese Zeit zu navigieren. Damit pflegen Sie auf natürliche Weise Denk- und Verhaltensweisen des „Aufbrechens“, wie ich dies nenne: Sie machen aus allem das Beste ohne naiv zu sein. Ohne es vielleicht so zu realisieren, geben Sie damit Ihrem Gehirn und Körper Signale, die ermöglichen, mit Stressoren umzugehen ohne physiologisch in Stresszyklen zu geraten. Zugleich tragen Sie so dazu bei, dass auch andere eher in einen solchen Modus kommen können. Ich denke etwa an eine Unternehmerin, die mir schreibt, wie sie zurzeit darauf fokussiert, ihre Teams zusammenzuhalten; besonders an einem Standort gäbe es viel Verunsicherung. Und zugleich versuche sie, die dauernden Veränderungen zu meistern; so müssten sie aktuell Notfallpläne ausarbeiten für den Fall, dass jemand positiv auf Corona getestet wird, was heißen würde, dass das ganze Team in Quarantäne muss. Aus Überblick sieht sie die realen Stressoren – ohne sich selbst in Stress zu verfangen und diesen auf ihre Teams zu übertragen. Damit ermöglicht sie den Mitarbeitenden, ebenfalls anders auf die aktuelle Situation einzuspielen als mit Kopflosigkeit, Hektik oder Panik. Eine andere Situation: Ein Auftraggeber, der ein Team von Beratungsprofessionals führt, erzählt, dass es bisher gelungen sei, den guten Geist im Team zu bewahren und sich auf die dauernd verändernden Situationen einzustellen. Wie ich ihn nach dem Verhalten der Menschen frage, die in seiner Organisation Beratung beanspruchen, erzählt er, dass es Kunden gibt, die es schätzen, in Ruhe mit einem Professional sprechen zu können, während andere aus Angst vor Corona in Panik geraten, wenn eine andere Person den Raum betritt.

Gerade jetzt, wo es viele reale Gründe gibt, in Stress zu geraten, ist es essenziell, zu verstehen, was es mit Stress auf sich hat, mit welchen Kreisläufen in Denken, Fühlen, Verhalten und physiologischen Prozessen Stressreaktionen einhergehen und was geschieht, wenn diese zum Dauerzustand werden. Und natürlich, wie Stressspiralen aufgefangen werden können und was hilft, strukturell mehr in einen (Re)Creation-Modus zu kommen, wie ich dies nenne. Das ist der Modus, in dem wir kognitiv, emotional und körperlich entspannen, regenerieren. Zugleich ist es der Modus, in dem wir auf gute Ideen und Lösungen für Probleme kommen.

Weil dies aktuell noch wichtiger ist als es schon vor Corona war, habe ich dieses Jahr mehrere Newsletter-Ausgaben dieser Thematik gewidmet. Schön, wenn Sie sich dabei einiges vergegenwärtigt und die eine oder andere Anregung aufgenommen haben.

Heute knüpfe ich bei dieser Thematik an und gehe einen Schritt weiter:

Wie vorgehen, wenn andere im Stress sind?

Wir können überall und unterschiedlich mit dem Stress anderer konfrontiert werden:

  • Im öffentlichen Raum. Eine Nachbarin klagt: „Ich habe den Eindruck, dass stets mehr Menschen aggressiv werden.“ Sie ist sichtlich besorgt, fügt zugleich bei: „Aber was können wir schon machen?“ Oder: Ich stehe im Supermarkt in der Reihe, um zu bezahlen. Die Kassiererin macht eben ein Telefonat, um etwas abzuklären zu einem Produkt, das eine Kundin bezahlen will. Der Kunde, der gleich dahintersteht, rastet aus, schimpft, die Kassiererin solle nicht so lang herumtelefonieren, er habe es eilig.
  • Bei der Arbeit. In meinen Seminaren für Beratungsprofessionals höre ich in letzter Zeit vermehrt Situationen wie die, die ein Laufbahnberater einbrachte: „Ich habe eine Ärztin in der Beratung. Sie will unbedingt sofort eine berufliche Veränderung, sagt, sie halte die Situation am Arbeitsplatz nicht mehr aus, sie wolle weg, sie hätte Schlafstörungen und körperliche Symptome. Sie ist kaum ansprechbar, wirkt auf mich hochgradig gestresst. Wenn ich auf der fachlichen Ebene bleibe und Vorschläge mache, sagt sie bei jedem: ‚Das geht in meiner Situation nicht.‘“
  • Privat. Ich lerne die Frau, die die Wohnung meiner 91-jährigen Mutter reinigt, kennen. Sie erzählt, dass sie an vielen Orten nicht mehr reinigen gehen könne, weil die Menschen aus Angst vor Corona keine Personen mehr in der Wohnung haben wollen. Ihr Mann ist auf Kurzarbeit. Sie haben eine behinderte Tochter.

Wie verhalten Sie sich in solchen Situationen?

Bleiben Sie ruhig? Hören Sie zu? Gehen Sie auf das ein, was eine Person sagt oder tut? Wenden Sie sich ab? Lassen Sie sich reinziehen? Werden Sie ärgerlich? Versuchen Sie, einer Person gut zuzureden? Oder mit ihr zu argumentieren? Pflichten Sie der Person bei? Gehen Sie aus einer solchen Begegnung mit dem Gefühl, Energie verloren zu haben? Können Sie die Situation stehen lassen? Freuen Sie sich, dass Sie etwas gesagt oder getan haben, was Entstressung ermöglichte?

 

(Wie) kann man andere entstressen?

Letztlich kann sich jeder nur selbst „entstressen“.

Doch wir können dazu beitragen, stimulieren, ermöglichen, dass Menschen von einem Stress- mehr in einen Entspannungs- bzw. (Re)Creation-Modus kommen. Zumindest können wir mit unserem Verhalten dazu beitragen, dass wir uns selbst nicht in Stress hineinziehen lassen, Stressreaktionen nicht zusätzlich gefördert werden bzw. Situationen eskalieren.

Was beinhaltet dies? Einige Anregungen zu zwei wichtigen Aspekten.

 

Selbst Ruhe und Überblick gewinnen

Wir können umso besser mit Stress in unserem Umfeld umgehen und angemessen vorgehen, je mehr wir

  • wissen, was es mit Stresszyklen auf sich hat. Wissen ist die Basis, Stress zu erkennen und adäquat vorzugehen – bei sich selbst und bei anderen. Wissen ermöglicht, weniger auf Aussagen und Verhaltensweisen anzuspringen und Dinge zu sagen oder zu tun, die „mehr desselben“ bewirken;
  • uns in der Kunst üben, selbst immer wieder in den (Re)Creation-Modus zu kommen. Das ist neurobiologisch der Gegenspieler zum Stress-Modus. Es ist auch in Stresssituationen möglich und gerade dann wichtig, strukturell immer wieder für Ruhe, Entspannung, Distanz zu sorgen. Das ist Ihnen natürlich nicht neu. Je mehr wir dies strukturell in unser Leben integrieren, desto besser wird es uns gelingen. Im (Re)Creation-Modus werden nicht nur Regeneration und Gesundheit in Gehirn und Körper gefördert, sondern auch positive Gefühle, Zugang zu uns selbst und Kreativität aktiviert – was uns wiederum in die Lage setzt, gute Lösungen zu finden und Schritte umzusetzen;
  • uns selbst Überblick verschaffen. Wir können Stress auslösende Umstände umso besser bewältigen, je mehr wir trainieren, unseren Fokus bewusst zu öffnen, alternative Sichtweisen einzunehmen, Einzelaspekte in einen Kontext zu setzen, Fakten zu sammeln, Meinungen zu überprüfen, auf frühere Erfahrungen zurückzugreifen, „dritte Lösungen“ in Betracht zu ziehen.

Vielleicht wollen Sie sich dazu insbesondere meine Newsletter-Ausgaben 2020/01 „Mitten in Bewegung Ruhe schaffen“ und 2020/04 „Die Kunst der Selbstberuhigung“ vergegenwärtigen.

 

Anderen ermöglichen, ebenfalls Ruhe und Überblick zu gewinnen

Auf dieser Basis sind wir in der Lage, Menschen in Stress ruhig, eigenbestimmt und konstruktiv zu begegnen. Wir ermöglichen damit, dass diese selbst Stresszyklen unterbrechen und damit ebenfalls mehr in einen (Re)Creation-Modus kommen können. Je nach Situation kann die eine oder andere der folgenden Anregungen hilfreich sein:

  • Selbst ruhig bleiben ist ansteckend! Letzthin hatte ich einen Termin beim Hausarzt. Während die Assistentinnen und die Corona-Rituale nicht gerade für eine entspannte Stimmung sorgten, empfing mich der junge Arzt in Ausbildung entspannt und freundlich. Er strahlte etwas sehr Wohltuendes aus. Wir unterhielten uns ruhig über mein entzündetes Auge. Wer sich verhält wie dieser Arzt, also selbst Ruhe ausstrahlt, schafft eine Atmosphäre, die anderen ermöglicht, ebenfalls ruhig(er) zu werden.
  • Eigenbestimmt und situationsgerecht vorgehen. Es gibt Situationen, in denen einem eine Intervention zu wenig wichtig ist oder in denen man Energie sparen will. Auch dann kann man allein durch ruhiges Auftreten Gutes bewirken. So ging die Kassiererin im Supermarkt nicht auf das Schimpfen des ungeduldigen Kunden ein, sondern sagte ihm ruhig, dass sie eben noch etwas abklären musste und dass er gleich an die Reihe kommen würde. In anderen Situationen kann es hilfreich sein, die Person ruhig auf ihr Verhalten anzusprechen, etwa: „Ich verstehe, Sie haben es eilig. Ihr Schimpfen bewirkt nicht, dass Sie schneller an die Reihe kommen. Ich werde Sie gerne bedienen, sobald diese Kundin fertig eingepackt hat.“ Nützlich ist es, sich vor einer impulsiven Reaktion zu fragen: Was läuft bei mir ab? Wie kann ich hier Ruhe schaffen und zugleich Grenzen setzen? Will und kann ich das jetzt? Eine weitere Möglichkeit ist es, sich nachträglich zu überlegen, wie man optimal hätte vorgehen können. Mit diesem „mental rehearsal“ (geistiges Training) legt man Boden, um in Zukunft immer natürlicher, flexibler zu tun, was in der spezifischen Situation angemessen ist. Schließlich: Es kann auch nützlich sein, sich mental gegen Stress anderer zu schützen. Dies bedingt, dass man selbst wach ist nach außen und nach innen. So kam eine Beratungskundin auf die Idee, sich vorzustellen, imprägniert zu sein gegen Stress in ihrem Umfeld.
  • Sich nicht hineinziehen lassen. Menschen in Stress verbreiten oft Hektik oder schlechte Stimmung. Das kann ansteckend sein. Schnell kann es passieren, dass man sich hineinziehen lässt, einer Person beipflichtet („Ja, es ist wirklich schlimm“), selbst Gefühle wie Angst, Verunsicherung, Aggression aufbaut („Bin ich ein naiver Optimist?!“, „Sie nervt!“) oder sich hetzen lässt. Wer sich dessen bewusst ist und in Kontakt bleibt mit sich selbst („Was löst das bei mir aus?“, „Was will ich jetzt eigentlich selbst?“, „Was ist für mich jetzt ein gutes Vorgehen?“), kann dies vermeiden.
  • Sachlich, emotionslos „zurücklegen“, was eine Person sagt oder tut. In einem meiner Seminare zum Thema „Eigenregie am Arbeitsplatz“ bringt eine Mitarbeiterin einer großen Organisation ein, dass sie sich zunehmend genervt hätte über eine Kollegin, die das ganz Team verrückt mache mit ihrem Gejammer und Gestress. Eines Tages habe sie sie angesprochen und einfach beschrieben, wie sie sie wahrnahm und dass sie in Zukunft nicht auf ihr Gejammer eingehen werde. Die Kollegin hätte erschrocken reagiert; sie hätte gar nicht realisiert, wie sie mit ihrem Verhalten wirkte. Seither verhalte sie sich merklich anders.
  • Ist die Person ansprechbar? Ist sie bereit und in der Lage, mit Ihnen zu sprechen? Ist sie interessiert, mit Ihnen zu überlegen, wie sie mit einer Situation umgehen kann? Das können Sie sie direkt fragen, etwa: „Ich verstehe, dass Dich diese Situation unter Druck setzt. Ich kann gerne mit Dir Ideen sammeln, was hier hilfreich ist. Das geht aber nur, wenn Du das willst und bereit bist, zuzuhören. Anders drehen wir nur im Kreis. Das macht alles nur schlimmer. Ich bin nicht bereit dazu. Was meinst Du?“
  • Verständnis zeigen, in Lösungen denken – ohne destruktive Muster zu unterstützen. Eine alte Dame, mit der ich engen Kontakt habe, ist Herzpatientin. Sie klagt wiederholt, dass sie sich am Morgen meist miserabel fühlt. Auf meine Fragen und Vorschläge geht sie nicht ein, bleibt aber klagen. Eines Morgens bin ich bei ihr und sehe, dass sie buchstäblich beinahe vom Stuhl fällt. Ich schlage ihr vor, sofort Blutdruck zu messen. Sie ist kaum ansprechbar, klagt. Schlussendlich misst sie den Blutdruck. Der ist auf Tiefststand. Dabei nimmt sie blutdrucksenkende Medikamente! Ich nehme ihre missliche Befindlichkeit ernst, mache deutlich, dass das absolut seriös ist und schlage ihr vor, umgehend mit dem Arzt zu besprechen, die Blutdrucksenker abzusetzen oder zu reduzieren. Sie weicht aus – „mal schauen…“ Sie unternimmt nichts. Ich erlebe sie erneut in der gleichen Situation. Ich sage ihr: „Ich habe alles Verständnis: Es muss ein schlimmes Gefühl sein, sich so elend zu fühlen. Aber ich werde nicht mehr darauf eingehen. Wenn Du nicht mit dem Arzt redest, wird das Problem bleiben.“ Bei meinem nächsten Besuch ist ein Wunder geschehen: Sie hat die Medikamente in Überlegung mit dem Arzt abgesetzt. Und hat keine Probleme mehr am Morgen. Dafür sagt sie jetzt „Aber jetzt habe ich Schmerzen im Bein“…
  • Ruhe schaffen. Wir können eine Person einladen, einfach einmal zusammen genau hinzuschauen, wichtige Faktoren zu benennen und unter die Lupe zu nehmen sowie zu klären, was eigentlich los ist. Oft schafft dies bereits Ruhe und Überblick. Damit zeigt sich zugleich schnell, ob eine Person wirklich interessiert ist an Lösungen und auch bereit, solche zu finden. Aber wir können auch Ruhe schaffen ohne viel zu sagen. Mein Mann und ich waren kürzlich im Zentrum von Den Haag und besuchten das Teegeschäft einer Freundin. Diese zeigte auf den Boden, wo von Kinderhand mit Kreide eine „Hinkelbaan“ gemalt war, zu Deutsch „Himmel und Hölle“ – eigentlich ein Straßenspiel mit gemalten Fächlein, über die gehüpft wird. Die Freundin erzählte, dass sie gestern der kleinen Tochter einer Kundin vorgeschlagen habe, mit Kreide etwas auf den Boden (der das haben kann) zu malen. Das Mädchen sei selig am Malen gewesen, die Mutter hätte sich sichtlich entspannt und die anderen Kunden hätten mit einem big smile im Gesicht auf die Szene reagiert. Statt ein unruhiges Mädchen im Geschäft zu haben, trug dieses zur guten Stimmung aller bei.
  • Mit zusätzlichen, alternativen Perspektiven ins Nachdenken bringen bzw. das Stoppen des „Autopiloten“ ermöglichen. Kürzlich begegnete ich einer Verkehrspolizistin, die Passanten davon abhielt, ein Stück Straße zu begehen oder zu befahren, das gerade durch große Baumaschinen frisch asphaltiert wurde. Ich musste auch kurz stehenbleiben und beobachtete, wie die Verkehrspolizistin irritiert und belehrend eine Velofahrerin zurechtwies, die über die gesperrte Strecke fahren wollte. Die Velofahrerin fuhr ebenfalls sicht- und hörbar gereizt weg. Danach kam die Verkehrspolizistin kopfschüttelnd auf mich zu und schimpfte sich mir gegenüber leer über all die Leute, die sich nicht an Regeln halten. Ich zeigte Verständnis, dass es für sie mühsam sein müsse, immer wieder dasselbe zu sagen. Zugleich versuchte ich, den Rahmen zu öffnen und sagte: „Wir werden zurzeit überall mit Regeln überschwemmt, ich kann mir vorstellen, dass Menschen es einfach satthaben.“ Und fügte an: „Wenn ich Ihnen etwas sagen darf: Selbst hätte ich es nicht gerne, belehrend angesprochen zu werden. Wenn Sie mir sagen würden ‚Hallo, Sie wollen hier durchfahren, das geht jetzt leider nicht mit dem frischen Asphalt und den großen Strassenmaschinen. Danke, dass Sie hier umdrehen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!‘, wäre es eine ganz andere Geschichte.“ Die Verkehrspolizistin schimpfte weiter und sagte unwirsch, sie hätte keine Zeit, um so mit Leuten zu sprechen. Da sagte ich ruhig und freundlich: „Ja, dann kann ich nicht viel sagen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!“ Ich hatte versucht, eine andere Perspektive einzubringen. Was hier nicht gelang, kann helfen, dass Menschen ins Nachdenken, auf neue Ideen kommen und sich Situationen beruhigen.
  • Anregen, Fokus zu öffnen und Überblick zu gewinnen. Es gehört physiologisch zu Stresszyklen, dass Menschen auf Einzelaspekte fokussieren. Sie verlieren Überblick, das Gefühl für Verhältnismäßigkeit. Auf Dauer begünstigt dies Rigidität oder auch Polarisierung, über die sich viele ereifern. Ein gutes Beispiel, wie gefährlich anhaltender individueller Stress werden und wie negativ sich dies kollektiv auswirken kann. Ich will damit nicht eine Opferperspektive unterstützen, sondern daran erinnern, wie wichtig es ist, bei uns selbst Stress zu erkennen und zu unterbrechen. So werden wir beispielsweise gegenwärtig mit Zahlen regelrecht bombardiert, wobei Kontexte rasch einmal aus dem Blick geraten. Kürzlich sah ich auf einem Bildschirm in einem Bus die Nachricht vorbeiflimmern: „900‘000 Neuinfektionen in Indien!“ Wahrscheinlich reagieren viele: „Oh, eine große Zahl!“ Das kann Angst schüren. Leicht geht vergessen, Einzelinformationen in einen Kontext zu setzen. Indien hat 1.5 Milliarden Einwohner… Wenn Sie es mit Menschen zu tun bekommen, die fixiert sind auf bestimmte Umstände, kann es hilfreich sein, eine Fokus-Öffnung anzuregen.
  • Nicht schönreden, überzeugen wollen, argumentieren oder ermuntern, „entspannter“ oder „positiver“ zu sein. Wenn eine Person in Stress ist, hat sie einen Grund – egal, ob dieser auf eine konkrete Situation bezogen ist (z.B. drohender oder realer Verlust der Arbeitsstelle) oder rein mental ausgelöst wird (entweder, indem negative Erfahrungen auf aktuelle Situationen übertragen werden oder indem Negatives in der Zukunft befürchtet wird). Reaktionen wie „Ist doch nicht so schlimm“, „Es gibt sicher eine Lösung“ oder gar „Entspann!“ werden wenig bewirken, wenn nicht sogar das Feuer zusätzlich anfachen. Effektiver wird es sein, der Person zu ermöglichen, statt über Stressoren zu reden, genau hinzuschauen: Was ist für sie schwierig? Was läuft bei ihr ab? Was wäre jetzt hilfreich? Was hat die Person bereits unternommen? Damit kann die Person den Autopiloten stoppen – die Basis produktiven Vorgehens.
  • It takes two to tango. Wenn sich eine Person nicht auf eine Interaktion einlässt bzw. „mehr desselben“ sagt und tut, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Zu beschreiben, wie Sie sie erfahren – wie dies die Seminarteilnehmerin tat, von der ich oben erzählte. Oder klar Grenzen zu setzen: „Ich suche gerne Wege mit Dir. Doch das geht nur, wenn Du das selbst möchtest.“

Mit solchen Schritten können Sie anderen ermöglichen, mehr in einen (Re)Creation-Modus zu kommen – in jedem Setting, im öffentlichen Raum ebenso wie in der Familie, am Arbeitsplatz ebenso wie in einer Hauseigentümerversammlung, in einer Führungsposition ebenso wie als Beratungsprofessional. Ohne andere zu missionieren oder ihnen etwas aufzudrängen, was sie nicht wollen, können wir sie ermutigen und befähigen, selbst neue positive Erfahrungen zu machen, wie man mit Stress anders umgehen kann als darin festzulaufen.

Mit solchen Schritten tragen Sie dazu bei, dass wir nicht zunehmend kollektiv in Stressspiralen festlaufen. Und zugleich stärken Sie sich selbst 😊.

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

Wenn Sie dazu beitragen, dass andere aus Stressspiralen aussteigen können, regen Sie Veränderungskompetenz und persönliche Entwicklung an. Anregungen dazu finden Sie in meinen Büchern.

In diesem Zusammenhang ein Hinweis für alle, die auf mein neues Buch „Veränderungskompetenz fördern“ warten: Leider gibt es eine weitere Verzögerung mit der Publikation. Der Verlag tut alles, um zwischen Corona und Mehrarbeit (erfreulich) hindurch zu manövrieren. Das Manuskript freut sich um so mehr, im 1. Quartal 2021 auf den Markt zu kommen. Und ich mich auch 😉. In der Zwischenzeit: Danke für Ihr Interesse und Ihre Geduld.

 


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