Wie unspektakuläre Veränderung Spektakuläres bewirkt

Grüezi – Guten Tag!

Willkommen im neuen Jahr! Schön, wenn Sie auch in 2021 sind, wie Sie sein möchten. Dass es nie zu spät ist, dies zu lernen und dass dazu nicht notwendigerweise spektakuläre Veränderungen erforderlich sind, darum geht es in diesem Newsletter.

Viel Anregendes wünscht Ihnen

Sibylle Tobler

Inhalte

 

„In mir ist was gewachsen“– von der Freude über mit langem Atem Erreichtes

Auch während diesem Jahreswechsel nahm ich mir Zeit für mein geliebtes Ritual, Menschen in meinem privaten und beruflichen Umfeld zu schreiben, die ich mit guten Erinnerungen verbinde. Und es war eine reine Freude, zu lesen, wie diese Menschen auf ganz unterschiedliche Weise das Beste auch aus 2020 gemacht haben.

Eines dieser Mails, die mich so freuten, kam von einer Beratungskundin. 2011 hatte sie mich kontaktiert. Wir führten zwei Gespräche. Weil mich schon damals ihre Schlichtheit, Ehrlichkeit und ihr Mut, aufzubrechen, beeindruckten, ist der Kontakt via diese Festtagsmails geblieben. Im September-Newsletter hatte ich von ihr erzählt – nicht wissend, was sie mir jetzt schreiben würde.

2011 war sie an einem Tiefpunkt. Ihr Partner hatte sie verlassen. Sie war anfangs 50. Sie hatte unglaublich genug davon, in verschiedenen Bereichen immer wieder ähnlich negative Erfahrungen zu machen. Sie hatte genug davon, lieblose, destruktive Beziehungen zu dulden und darunter zu leiden. Sie hatte genug davon, unglücklich zu sein. Sie hatte genug von den endlosen Analysen, die sie über Jahre hinweg allein oder in Therapie gemacht hatte und die doch nichts Neues bewirkten. Sie wollte aufbrechen. Sie hatte mein Buch „Neuanfänge“ gelesen. Der motivierende Horizont sprach sie an – die Vorstellung, in Richtung eines solchen Horizonts aufzubrechen, gab ihr Energie und aktivierte neue Gedanken. Mir fiel ihre Bereitschaft auf, genau hinzuschauen sowie schlicht und zugleich schonungslos zu benennen, was sie beobachtete – in ihrem Denken und Verhalten, in ihrer Interaktion mit anderen sowie in ihren Lebensumständen, in denen es wie verhext zu „mehr desselben“ kam. Ihr motivierender Horizont war ein Leben in Selbstvertrauen. Auf meine Frage, wie ein solches Leben aussehen würde, begann es aus ihr herauszusprudeln: Sie würde sich nicht mehr gefallen lassen, abschätzig behandelt zu werden. Sie würde bei der Arbeit nicht die Dienste nehmen, die kein anderer will. Sie würde Beziehungen pflegen, die ihr guttun und sich von anderen distanzieren. Sie würde nicht mehr grübeln, an sich herumkritisieren, sich selbst bemitleiden, leiden. Sie würde gerne mit sich selbst sein. Ich fragte sie, wo und wie sie beginnen wollte. Der erste Schritt war das Gespräch mit dem Nachbarn, der sich über ihr Klavierspiel beklagte. Sie stellte sich vor, wie sie dieses Gespräch als Frau mit Selbstvertrauen angehen würde. Sie übte mental, wie sie sich verhalten würde, wenn das Gespräch nicht nach Wunsch verlief und wie sie dafür sorgen konnte, sich nicht klein machen, verletzen zu lassen. Sie führte das Gespräch, als ob sie bereits die Frau voller Selbstvertrauen war. Das positive Resultat ermutigte sie. Von da an setzte sie Schritt um Schritt um, orientiert an ihrem motivierenden Horizont. Sie wagte Neues, übte, ihre alten destruktiven Muster zu erkennen und diesen keine Macht über ihr Verhalten zu geben. Sie übte, sich auch in schwierigen Momenten oder nach Rückschlägen an der Hand zu nehmen. Sie absolvierte eine Weiterbildung, die sie immer hatte machen wollen. Sie blieb dran. Scheinbar unspektakulär. Schlicht, still, im eigenen Tempo. Zugleich entschlossen und mit langem Atem.

Jetzt schreibt sie: „Wenn ich zurückschaue und an unsere zwei Gespräche denke… hat sich vieles entwickeln dürfen. In mir ist was gewachsen. Ich nehme mich ernster. Ich mache mich nicht mehr so runter. Stehe schlichter für mich ein. Unterscheide wo ich Kraft reinstecke und wo ich manches einfach auch lasse… Mir geht es gut. Die Arbeitssituation hat sich für mich verbessert. Ich bin froh arbeiten zu können. Ich bin nicht mehr so abhängig von den Kollegen. Wenn ich spüre, jetzt will ich wieder gefallen, rudere ich zurück, bleibe ganz bei mir. Dann entspannt sich im Außen wieder was. Wenn die Kollegen reden, dann reden sie. Ich versuche, nicht über andere zu reden. Wenn es doch passiert, rudere ich zurück. Anfangs des Jahres konnte ich meinen runden Geburtstag feiern. Selbstbestimmt und selbstbewusst. Das war toll. Mit dreißig Freunden und Familie. Habe aus dem Nähkästchen geplaudert und wollte gerne im Mittelpunkt stehen. Toll. Meine Freunde haben mir ein schönes Geschenk überreicht. Mit einer Karte nach dem Motto ‚Du bist eine besondere Frau‘. Das war früher unvorstellbar. Ich habe es still und tief beschenkt als Wunder angenommen.“

Das ist Wachstum. Ich denke: Wenn wir alle so schlicht und zugleich so entschlossen unseren Weg gehen würden…

 

Nicht die Größe der Schritte ist entscheidend…

Menschen, die auf ihre ganz eigene Weise Veränderung wagen, sind Energie- und Inspirationsquellen. Wir können von ihnen lernen, bei ihnen „abschauen“. Und wir können uns von ihnen ermutigen lassen auf unserem eigenen Weg – auch wenn dieser ganz anders ist.

Einige wichtige Punkte:

  • Veränderung von innen nach außen. Viele Menschen wünschen sich Veränderung und fokussieren dabei auf Veränderung von Umständen: „Wenn ich einen Partner, mehr Geld, die ‚richtigen‘ Beziehungen, ein schönes Haus hätte, gesund wäre, Corona nicht das Leben schwer machen würde, die Politiker anders wären, es mehr Gerechtigkeit gäbe…“ Viele denken, wenn die Umstände anders wären, wären sie zufriedener, glücklicher, erfolgreicher usw. Damit machen sie sich abhängig von Umständen. Und es entsteht eine Kluft zwischen aktueller Situation und erwünschter Veränderung. Auf Dauer kann dies unglücklich, unzufrieden, mutlos machen. So kommt es zu mehr desselben, was man nicht will. Veränderung wird möglich, wo man sich damit auseinandersetzt, wie ein Leben aussieht, in dem man am Morgen gerne aufsteht und welche Schritte in Richtung eines solchen Lebens man hier und jetzt umsetzen kann – mitten aus der aktuellen Situation hinaus, unabhängig von Umständen. So wie es die Beratungskundin gemacht hat. Dies erfordert, den nächsten Punkt zu berücksichtigen:
  • Sich zugestehen, zu sein, wie man sein möchte. Ich beziehe mich damit auf eines meiner Lieblingszitate: „Es ist nie zu spät, so zu werden wie man es gerne gewesen wäre.“ Es kommt aus der Feder George Eliots, Pseudonym der englischen Schriftstellerin Mary Ann Evans (1819-1880), die – in streng puritanischem Umfeld aufgewachsen – viele Hindernisse zu bewältigen hatte, um zu sein, wie sie sein wollte. Sie übernahm ein männliches Pseudonym, um publizieren zu können. Als sie dieses schließlich preisgab, wurde sie aufgrund ihres großen Erfolgs schrittweise wieder von der Gesellschaft aufgenommen. Umstände können garstig sein. Mary Ann Evans hatte sich zugestanden, grösser zu denken als die Umstände. Sie brachte den Mut auf, ihr Handeln danach auszurichten und war bereit, die Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Das Beispiel der Beratungskundin erinnert daran, dass es tatsächlich nie zu spät ist, zu werden, wie man sein möchte. Neurobiologische Erkenntnisse bestätigen, dass Veränderung immer möglich bleibt – trotz eingeschliffener Denk- und Verhaltensmuster bleibt unser Gehirn ein Leben lang veränderbar und setzt uns damit in die Lage, zu lernen, anders durchs Leben zu ziehen und damit andere Resultate zu erzielen. Dies erfordert, sich damit auseinanderzusetzen: Wie will ich sein? Wie werde ich als diese Person denken, fühlen? Was werde ich tun? Und es erfordert den Mut zu entsprechenden Schritten.
  • Den eigenen Weg finden. Im letzten Newsletter habe ich Ihnen von Jonna Jinton erzählt, der jungen Schwedin, die ihrem Herzenswunsch, in der Natur leben und dort ein Living machen zu können, gefolgt ist. Die Beratungskundin, von der ich Ihnen hier erzähle, veränderte wenig an ihrer Lebenssituation – und doch ist ihr Leben völlig anders. Was beide Situationen kennzeichnet: Die Art, wie die beiden Frauen ihr Leben gestalten und Veränderung wagen, ist vollkommen authentisch. Die Schritte, die sie machen, machen sie, weil sie mehr so sein wollen, wie sie es sich wünschen und wie es ihnen entspricht. Nicht, weil es modisch ist oder sie anderen gefallen wollen. Was ist Ihr eigener Weg, zu sein, wer und wie Sie sein wollen?
  • Es braucht nicht spektakuläre Veränderungen, um mehr zu sein, wie man sein möchte. Die Qualität einer Veränderung hängt nicht davon ab, ob man nach Nordschweden zieht oder im Dorf bleibt, in dem man aufgewachsen ist. Obwohl Umstände eine Rolle spielen und es sinnvoll sein kann, die Umgebung zu verändern, so geht es letztlich darum: Setze ich mich dafür ein, (mehr) so zu leben, dass ich am Morgen gerne aufstehe? Entscheidend ist, ob man Haltungen und Verhaltensweisen pflegt, die erfahren lassen, das Leben gestalten zu können. Man kann in die Idylle Nordschwedens ziehen; wenn Haltungen und Verhaltensweisen nicht kompatibel sind mit dem, was man sich wünscht, wird man sich dort kaum glücklicher fühlen.
  • Umsetzen. Viele Menschen wissen alles über Veränderung – aber setzen Wissen nicht um. Wissen ist sehr wichtig. Es ermöglicht, zu verstehen, was man macht. Zugleich sind letztlich nicht noch mehr Wissen, andere oder längere Beratung entscheidend. Entscheidend ist, ob man umzusetzen beginnt. Hier und jetzt. Ich habe großen Respekt, wie diese Beratungskundin Regie übernahm – das konnte ihr niemand abnehmen. Und schon gar nicht, dass sie kontinuierlich Begonnenes fortsetzte. Also: Welches Wissen ist für Sie relevant? Und wie wollen und können Sie dieses Wissen umsetzen? Was ist ein erster Schritt?
  • Kleine Schritte können viel bewirken. Sowohl Jonna Jinton als auch die Beratungskundin zeichnet es aus, dass sie kleine Schritte wertschätzen, sich über Erfolgserlebnisse von Herzen freuen und Unterschiede wahrnehmen. Die Beratungskundin sagte nicht: „Ein Gespräch mit dem Nachbarn ist doch nichts Besonderes.“ Sie machte den Schritt und ermöglichte sich dadurch eine neue Erfahrung. Das war die Basis für viele weitere Schritte und Erfahrungen. So banal es klingt: Wenn wir an den Südpol gelangen wollen, kommen wir nicht darum herum, uns auf den Weg zu machen. Und der beginnt damit, uns ins Schiff zu setzen und loszufahren. Auch wenn wir nicht schon morgen dort sind.
  • Neuer Umgang mit alten Mustern und dem alten Umfeld. Obwohl die Beratungskundin immer wieder mal alten Mustern und Situationen begegnet, geht sie anders damit um. Sie erkennt, wenn die alten Programme getriggert werden. Dann nimmt sie sich an der Hand bzw. sagt „ich rudere zurück“. Durch Übung und Wiederholung erfährt sie, dass sie gelassener wird – auch im Umgang mit ihrem Umfeld, das nicht groß verändert ist. Die Kollegen sind nicht anders, aber durch ihr verändertes Denken und Verhalten lernt, übt und erfährt sie, dass sie Regie behalten kann. Das bestärkt sie im längst Begonnenen. In Momenten, in denen sie es wieder geschafft hat, Altem anders zu begegnen als die ersten 50 Jahre ihres Lebens, ist sie unabhängig und frei.
  • Last but not least: Sich von Menschen inspirieren lassen, die es wagen, zu sein, wie sie sein wollen. Dies ist nicht nur erfrischend, sondern auch ermutigend – egal, ob es eine Jonna Jinton ist, diese Beratungskundin, eine bekannte Persönlichkeit oder auch Ihr Nachbar oder Ihre Arbeitskollegin.

Meinen letzten Newsletter beendete ich mit den Worten: „Wie wäre es doch schön, wenn wir alle auf unsere Art ein ‚Jonna Jinton-Leben‘ führen – ebenso schlicht, authentisch und inspirierend für andere 😊.“ Dass Sie dazu nicht nach Nordschweden auswandern müssen, daran erinnert das Beispiel der Beratungskundin. Schön, wenn Sie in diesem Jahr immer wieder sagen können: „Ich lebe als die Person, die ich gerne bin“ – egal, mit welchen Schritten das für Sie verbunden ist. Ich wünsche Ihnen dabei viele Erfahrungen, die Sie ermutigen, bestärken und glücklich machen. Sodass Sie wie die Beratungskundin sagen können: „Ich habe es still und tief beschenkt als Wunder angenommen.“

 

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten…

  • In meinen Büchern finden Sie Wissen, Anregungen und Ermutigung zur Umsetzung:

 


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